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Schnipo Schranke | Montag 26/10 2015 20.30 h Bielefeld, Forum
| vvk: 13,90 € abk: 15,00 € |
Übertrieben lieben, blind sein vor Liebe, viel zu ehrlich sein, viel zu direkt sein,
viel zu viel sein, viel zu viel wollen, Geschlechtsteile beim Namen nennen, Kette
rauchen, in Zwölftonmusik geschult sein, Melodien für Millionen schreiben, auf
das Popstarwerden warten, im Sitzen die Karriere starten, Lethargie haben,
Fehler machen, anhimmeln, sich klein machen, sich groß machen, Halt brauchen,
vor nichts Halt machen, Lover in der Hölle sehen, zarte Harmonien mit
Fäkalsprache paaren, hauptberuflich toben wollen, Schmerzen haben:
Schnipo Schranke sind Friederike Ernst und Daniela Reis, Jahrgang 1989 und
1988. Zwei Frauen, die sich an der Musikhochschule in Frankfurt über den Weg
gelaufen sind. Zwei Außenseiterinnen an Flöte und Cello, für die das Studium der
klassischen Musik sich schnell als seltsames Missverständnis entpuppt. Denen
das Leben zu schade ist, um es mönchischer Hochleistungsfanatik zu opfern. Die
bald merken, dass sie füreinander geschaffen sind. Die sich einigeln, um etwas
Neues, Anderes zu schaffen. Musik, die sie berühmt machen soll. Beim Kurt-Krömer-Gucken fällt ihnen der Bandname vor die Füße: Schnipo
Schranke, ein Shortcut für „Schnitzel mit Pommes, Majonnaise und Ketchup“. Ein
früher Song (der es nicht auf’s Album geschafft hat, weil HipHop nicht mehr ihr
Ding ist) heißt „Beste Freunde“, ein Youtube-Hit für Gourmets und ein erster
Hinweis, das hier etwas Seltsames von großer Schönheit anrollt. Sie lassen die
Laptopkamera das Video drehen: zwei dünne Ladys in Jogginganzügen, die in
einem winzigen Zimmer zwischen Matratze und Schreibtisch dancen, sich am Po
kratzen und am E-Piano Zeilen wie „Meine Ohren bluten schon, / Halt die Fresse
Hello-Kitty-Pyjama“ rappen. Es ist das Zimmer, in dem die beiden gewohnt
haben, eine schöne Zeit soll es gewesen sein. Daniela war zu Fritzi gezogen,
einer Lebenskrise wegen, die etwas mit Liebe zu hatte. Liebe, natürlich. Von Liebe, von ihrem Scheitern, von ihrem Schrecken und ihrer
Schönheit, vom Lieben und Liebe machen, von der Frage, ob das jetzt Liebe
gewesen ist oder doch nur Sehnsucht oder einfach ein Fehler: Davon handeln
eigentlich alle Songs von Schnipo Schranke. Und nicht nur eigentlich, sondern
tatsächlich: alle Songs, Punkt. Weil es nichts Wichtigeres gibt. Auch „Pisse“
handelt davon, der erste große Erfolg, die erste Veröffentlichung –
herausgekommen auf dem Sampler „Keine Bewegung“ des Berliner Labels
Staatsakt und dann rumgereicht im Internet. Weil bei Minute 03:36 ein Penis ins
Bild kommt, hat Youtube das „Pisse“-Video sperren lassen, jetzt kann man es
und ihn auf Vimeo ansehen und auf Youtube gibt’s das nur noch mit Standbild.
„Huhu also ich mag das lied“, heißt es in einem Kommtar darunter. „Aber kann
mir bitte jemand sagen, ob das satirisch gemeint ist, dass mit ‚brauche jemand
der mich knallt’ oder warum singt sie das?????!!!“ Ja, warum bloß? Und warum zum Teufel singen die jungen Frauen bei den
Konzerten von Schnipo Schranke das auch noch lauthals mit? Sogar in der Roten
Flora? Weil es großartig ist, weil es ehrlich ist. Weil Schnipo Schranke sich nackig
machen. Weil sie dieses bezaubernde Talent haben, das Pop so existentiell und
groß macht: Sie können über ihre Schwächen singen. Ganz bestimmt ist das
auch feministisch, aber Schnipo Schranke machen es nicht aus politischen
Gründen. Sondern weil sie was Großes schaffen wollen. Fehler ist King, wie es
einst Knarf Rellöm in der Ursuppe der Hamburger Schule sang – und nach
Hamburg sind Schnipo Schranke dann ja auch gezogen. Weil ein paar gute
Menschen in dieser Stadt ihren Humor und seine Abgründe zu verstehen
scheinen. Und jetzt das Album. „Satt“ heißt es. Schluss mit dem Youtube-Spaßband-
Dasein, her mit den dunklen Gefühlen, her mit der Übersteuerung, her mit den
krautigen Störgeräuschen, den glitzernden Synthie-Kaskaden, die die einfachen
und doch so cleveren Piano-Akkordfolgen zart umspielen. Von Ted Gaier in den
Katakomben des Art Blakey Studio sanft in Richtung Psychedelik und Erhabenheit
geschubst, haben Fritzi Ernst und Daniela Reis ihren Sound zwischen 80er-
Elektronik und 70er-Orgeln gefunden. Eine Rockband aus Klavier, Schlagzeug
und zwei Stimmen. „Ne Kurze und ne Kranke, zwei Peanuts, ein Gedanke“,
singen Schnipo Schranke im Album-Opener. Doch das stimmt nicht. Diese beiden
Frauen sind keine Peanuts. Sie sind ganz große Nüsse.
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