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Tocotronic + Sarah & Julian | Freitag 16/10 2015 20.00 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: 30,00 € abk: 32,00 € |
Sie haben uns von Sehnsucht und Abscheu gekündet, von Zügellosigkeit und Erschlaffung.
Sie haben uns die schönsten Merksprüche geschenkt und die lieblichsten Selbstzweifellieder.
Sie haben uns die Wonnen des autoerotischen Näselns gelehrt und die
Widrigkeiten der politischen Selbstvergewisserung vertont. Sie haben deklamiert
und gelockt, gerockt und zugleich der Rockmusik den machistischen Boden entzogen.
Und sie haben immer verdammt gut ausgesehen dabei. Seit zwanzig Jahren bringen
Tocotronic nun schon Langspielplatten heraus, und es hat in den letzten zwanzig
Jahren in diesem Land keine andere Gruppe gegeben, die sich so schön und so kühn
durch die musikalischen Stile bewegt – und durch die politische Realität ihres Landes
und ihrer Generation. Keine andere Band hat sich so kontinuierlich selbst neu
erfunden; keine andere Band ist so konsequent auf der Reise geblieben. Keine andere
Band wirkt denn auch nach zwanzig Jahren noch immer so herausfordernd und frisch,
so jugendlich und weise zugleich.Digital ist besser heißt die erste Platte, mit der Arne Zank, Jan Müller und Dirk von
Lowtzow 1995 in Hamburg die Bildfläche betreten, ein monumentales Werk jugendlicher
Erschlaffung und euphorischen Ungestüms, getragen von dem unbeirrbaren Willen,
nicht dazugehören zu wollen, sowie andererseits von der unstillbaren Sehnsucht, Teil
einer Jugendbewegung zu sein. Es geht um Fahrradfahrer und Tanztheater und
um das Gefühl, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein; auf dem wenige Monate später
folgenden zweiten Album Nach der verlorenen Zeit geht es dann auch um die Liebe
und um die Möglichkeit, dass es sie gibt. Aus der Asche der gerade verglommenen Hamburger Schule steigen Tocotronic wie ein
Phoenix empor, eine ganze Generation lernt ihre Lieder auswendig und ahmt ihre
asymmetrischen Haarschnitte nach; das postironische Tragen von Trainingsjacken
etablieren sie als Modetrend. Mit ihrem dritten Album Wir kommen um uns zu beschweren
werden sie 1996 endgültig zu Superstars, die erste Band, die es aus der kleinen Welt
des deutschsprachigen Diskurspop in die ganz großen Hallen und Stadien schafft:
Avantgarde für die Massen. Auf der vierten Platte Es ist egal, aber reichern sie 1997 ihren
ungestümen Gitarrenrock erstmals mit Mundharmonika und Streichern an: Damit, so
könnte man vielleicht sagen, schließen sie ihre erste Werkphase ab. Ihre zweite Werkphase beginnt 1999 mit K.O.O.K., einer wuchtigen, schwarzen und von
Zweifel benagten Platte, futuristisch und nostalgisch zugleich; die Hitze der klassischen
Rockmusik prägt sie ebenso wie die Kälte des Weltalls und der Entfremdung
zwischen den Menschen. Das Unglück muss zurückgeschlagen werden heißt einer
der Hits auf dem Album, ein geflügeltes Wort bis heute. Zum ersten Mal singen
Tocotronic von Einsamkeit. Auf dem weißen Album überwinden sie 2002 dann den
musikalischen Minimalismus älterer Tage mit einer opulent orchestrierten, farbig
verrätselten Platte, in der Realismus und Fantasie sich miteinander versöhnen: Eins zu
eins ist jetzt vorbei. Oder um es mit dem Titel des folgenden Albums aus dem Jahr
2005 zu formulieren: Pure Vernunft darf niemals siegen. Ab nun gehört Rick McPhail
als viertes Mitglied zur Gruppe und bereichert ihre Musik mit seinen blumig erblühenden
Gitarrenfeedbacks. Der nächste Abschnitt des Tocotronic’schen Schaffens beginnt 2007, in dem Jahr, in dem
ihr vorläufiges Meisterwerk erscheint: Kapitulation ist ohne Frage die wichtigste
deutschsprachige Pop-Platte der Nullerjahre, eine musikalische und lyrische Großtat,
die von den Wonnen der Selbstaufgabe erzählt und vom Glück der eigenen
Unterwerfung. Die Selbstwidersprüche unserer Existenz, die unauflösbare Dialektik
von Müssen und Wünschen bringen Tocotronic nun mit immer größerer Schönheit und
Gelassenheit zu Gehör, auf dem folgenden 2010er Werk Schall & Wahn ebenso wie
auf ihrem bislang letzten Album, Wie wir leben wollen aus dem Jahr 2013. Darauf geht
es ums Altern, um das Glück der Reife und um die Überwindung des Todes; damit
kommt die dritte Werkphase – manchmal als Berlin-Trilogie etikettiert – denn auch zu einem
Abschluss. Wovon wird also das rote Album erzählen, mit dem Tocotronic im Jahr
2015 wieder von vorne beginnen? Zwanzig Jahre lang währt der Bildungsroman dieser
einzigartigen Gruppe nun schon, und doch ist sie auch nach all dieser Zeit immer
noch dort, wo man im Offenen ist.
Jens Balzer
Support: Sarah & Julian
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Sarah and Julian sind ein deutsch-amerikanisches Singer-Songwriter Duo. Als
Kinder bekamen die Geschwister Unterricht an Klarinette und Trompete, das
Klavier- und Gitarrespielen brachten sie sich im Teenageralter selbst bei und
begannen, eigene Musik zu schreiben. Ihre ersten Songs nahmen die Geschwister
im kleinen Homestudio des Vaters auf, einem leidenschaftlichen Singer-Songwriter
und Multi-Instrumentalisten, der in jungen Jahren aus Kalifornien nach
Deutschland auswanderte. Die Musik von Sarah and Julian und der
Zusammenklang ihrer beiden Stimmen schaffen Atmosphären wie warme, dunkle
Räume, die den Zuhörer umhüllen und in sich einschließen. Dieses Gefühl zieht
sich wie ein roter Faden von den Folksongs "Like a Letter" und "White Lips" bis hin
zu Songs mit Indie-Einschlag wie "We Are Mayflies".
Das Debütalbum von Sarah and Julian erscheint via PIAS.
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