demnächst

Marcus Wiebusch

+ Pink Lint


Dienstag   28/10 2014   20.30 h
Bielefeld, Forum
vvk: 24,90 €
abk: 26,00 €



Marcus Wiebusch

www.marcuswiebusch.de
www.startnext.de/marcuswiebusch

„Konfetti“: Ein Zeitdokument über die mutige Selbstbehauptung eines Künstlers, der Grenzen sprengt und kraftvoll seiner originären Inspiration folgt. Mit Haltung, Achtung und großer Hingabe an Musik, Arrangements und Texte, die man so in Deutschland noch nicht gehört hat.

Es war ein großartiges Jahrzehnt mit Kettcar – für ihren Frontmann Marcus Wiebusch ebenso wie für jeden Hörer von so anspruchs- wie gehaltvoller Indie-Pop-Musik. Die Geschichte dieser Hamburger Band ist auch noch nicht zu Ende geschrieben, aber doch war es Zeit für eine Zäsur. Nach zehn Jahren, neun Festivalsommern, vier Alben, einem Live-Album, unzähligen Tourneen sah Marcus Wiebusch den Moment gekommen, eine kreative Pause mit der Band einzulegen. Und es ganz alleine zu probieren. Wobei: Alleine trifft es nicht. Eher im Gegenteil. Doch dazu gleich.

Denn mit seinem ersten Soloalbum „Konfetti“ probiert er sich aus – und zwar in jede Richtung. Es ist ein dermaßen offenes, breites und vielseitiges Album geworden, dass man zunächst vollkommen überrascht ist. Vieles, was darauf geschieht, hätte man als Kenner der Kettcar-Musik einfach niemals erwartet. Dieses Orchestrale, Große, Raumgreifende der Songs, die Breite im Arrangement, die sich von der klassischen Piano-Ballade bis zum tief pumpenden Electro-Track dehnt: Bemerkenswert, was passiert, wenn man einen wie Wiebusch einfach mal von der Leine lässt. Dann hört man plötzlich Sprechgesang von ihm, verbunden mit knackigen HipHop-Beats zur reduzierten Gitarre.

„Die Referenzsysteme für solche Musik waren bei mir immer da, aber jetzt konnte ich mich einfach mehr trauen. Ich höre die neue Kayne West Platte genau so häufig wie die neue Arcade Fire. Und ich mache jetzt sicherlich keine Rapmusik, aber man hört dem Album an, dass ich HipHop sehr mag. Aber es war bislang nie der Raum dafür da, außer damals bei meiner ersten Punkband ...But Alive, wo ich in Ansätzen auch schon Stücke mit Sprechgesang hatte. Ich liebe die Inhaltlichkeit von HipHop, dass man mit einem Text ganze Welten erschaffen kann, weil die Wörter hier den Platz bekommen“, befindet er

Es gehört natürlich Weitblick dazu, ebenso Mut und erst Recht die – wie er selber es nennt – Skills, etwas derart Originäres zuzulassen. All die Songs, Erfahrungen, Arrangeure, Produzenten, Alben, die Wiebusch mit Kettcar durchlebt hat, bilden somit die Grundlage für das, was jetzt entstand. „Dieses Album wäre niemals mit Kettcar gegangen, aber es wäre auch niemals entstanden ohne all das, was wir mit Kettcar erreicht und erlebt haben."

Für sein eigenes Album begriff Wiebusch das Studio als Spielzeugladen, als ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem man sich sehr viel trauen kann. Zum Beispiel, jeden Song individuell zu bearbeiten: So entstanden die elf Songs mit sieben verschiedenen Produzenten, unzähligen Mischern und einer Armee von Musikern. Nicht die drei gleichen Musiker wurden gesucht, die mit ihm ein intimes Album aufnehmen, sondern der immer wieder neue, kreative Clash mit anderen, mit denen man den einen Song erarbeitet. „Es war extrem inspirierend zu sehen, wie andere vorgehen“, sagt er. „Zuerleben, wie unterschiedlich die Leute an Songs arbeiten, hat das Album wirklich beflügelt. Für mich ein großartiger Lernprozess.“

Zum schweren Kraftakt wird dabei die Bemühung um Homogenität. So gut jeder Song für sich ist, am Ende muss alles doch ein Album ergeben, das Sinn macht. Natürlich: Seine Stimme hält alles zusammen, obschon wir in den Genuss vieler neuer Facetten kommen, die sie zu bieten hat. Aber auch das Songwriting trägt, so weit es sich auch vom Kettcar-Gefühl entfernen mag, stets die Wiebusch’schen Züge zwischen Melodiosität, Einfühlungsvermögen und dem Wissen um eine gute Hookline. Und doch wollte er, dass nicht alles nivelliert und gleichgeschaltet wird – „ich wollte, dass die Platte funktioniert wie ein Mixtape.“

Es steckt also viel Liebe in diesem Werk, auch wenn die Liebe an sich, als zu beschreibender Zustand, keine Rolle auf dieser Platte spielt. Eigentlich überraschend für jemanden, der ein eigenes Album dazu nutzt, private Vorlieben in neuer Qualität künstlerisch auszuleben. Auch Persönliches findet man eher in Nuancen – der kleine Junge im Album-Opener „Off“, der an der Wasserkante entlang butschert: Das ist natürlich Marcus. Doch ansonsten hält er sich interessanterweise bedeckt mit dem Blick ins Persönliche. Stattdessen: Haltung, Aussage, Meinung, eine klare Verortung zu gesellschaftlichen Themen. „Der Tag wird kommen“ ist so ein Stück, in dem ein großes Bedürfnis nach Haltung und Aussage steckt. Wiebusch hat für den Song viel recherchiert, mehrere Bücher gelesen, Gespräche mit Sportjournalisten geführt, Song und Text von Corny Littmann, dem großen Hamburger Fachmann für Fußball meets Homosexualität, abnicken lassen.

„Für mich ist es einfach unfassbar, das wir im Bereich Fußball offensichtlich ein Klima haben, das es nicht möglich macht, das sich ein aktiver Profi outet. Aber es gibt sie natürlich die homosexuellen Fußballprofis.“, so Wiebusch. Als dann noch das Outing von Thomas Hitzlsperger erfolgte – im übrigen Monate, nachdem der Song bereits fertig war – wurde erst deutlich, was für ein brisantes gesellschaftliches Thema hier aufgegriffen wurde.

Doch es gibt auch anderes, das brennt: „Nur einmal rächen“ etwa ist ein Lied über die Mark Zuckerbergs dieser Welt. „Unsere heutige Zeit ist voller Zuckerbergs“, sagt Wiebusch. „Eine Zeit, die wie gemacht ist für die Nerds, die damals die Gedemütigten waren und heute durch ihre Fähigkeiten in einem nie vorstellbaren Tempo Millionäre werden können. Das Gefühl, es geschafft zu haben, wird mit dem Gefühl der Rache in dem Song rückgekoppelt.“

„Jede Zeit hat ihre Pest“ räumt mit den Hipstern der Moderne auf – und wie wenig sie noch mit dem Ursprung ihrer Zunft gemein haben: „In dieser Unterscheidungshölle geht es darum, dass man Hipster als das enttarnt, was sie sind: Distinktions-Nutten. Die für ein bisschen Anderssein eigentlich alles machen. Und vergessen, wofür die ursprünglichsten Hipster mal standen: eine Haltung.“

In anderen Songs beschreibt er die Rolle des Herzens als schlechter Ratgeber in schweren Zeiten („Was wir tun werden“). Oder die Idee, dass man übertriebenes Selbstmitleid mit Exorzismus austreiben müsste („Das Böse besiegen“).

„Springen“ hingegen ist ein Stück, das wie eine selbst erfüllende Prophezeiung funktioniert: „Es ist ein Song darüber, dass es manchmal besser ist, seinen ganzen Mut zusammen zu nehmen und den radikalen Schritt zu gehen.“ Marcus Wiebusch ist diesen Schritt gegangen – und überrascht uns alle. Jetzt ist es an uns, ihm zu folgen. Für den Erstkontakt empfiehlt er ein gutes Glas Wein, Ruhe, Einsamkeit. Und dann: kommen lassen, was da kommt. Es ist viel. Viel mehr, als man normalerweise bei einem ersten Soloalbum erlebt. So ambitioniert ein Musiker sonst auch sein mag. Denn dies ist ein Zeitdokument über die mutige Selbstbehauptung eines Künstlers, der Grenzen sprengt und kraftvoll seiner originären Inspiration folgt. Mit Haltung, Achtung und großer Hingabe an Musik, Arrangements und Texte, die man so in Deutschland noch nicht gehört hat.

(Sascha Krüger)


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Die besten Dinge brauchen oft Zeit. Ein guter Wein zum Beispiel, guter Käse – oder eben die Musik der Gruppe Pink Lint. Acht Jahre sind ins Land gegangen, bis nun endlich das erste offizielle Album der Mainzer Band erscheint. Acht Jahre, in denen ihr Sound sich entwickeln und wie ein guter Wein reifen konnte. Heraus kam ein geradezu unwiderstehlicher Indie-Tropfen mit dem Namen „You Might Lose A Few Teeth But It’s Fun.“

Angefangen hat alles im Jahr 2006, als Sänger, Gitarrist und Songschreiber Oliver Burghardt ein neues Ein-Mann-Projekt startete. Im Folgejahr nahm er in Eigenregie sein erstes Album auf – damals noch unter dem Namen PLUS, eine Abkürzung für Pink Lint Under Shelves – und suchte sich Leute, mit denen er die Songs auf die Bühne bringen konnte. An die 100 Shows haben Pink Link mittlerweile auf dem Buckel, unter anderem im Vorprogramm von Get Well Soon oder Gisbert zu Knyphausen. Die Besetzung der Band wechselte mehrmals, bis mit Oliver Burghardt, Raid Iskandar, Benjamin Sickel, Martin Born, Christopher Iskandar und Anne-Louise Hoffmann schließlich das jetzige Line-Up stand. Man schrieb Songs, verwarf sie wieder und schrieb neue Songs. „Das erklärt auch die lange Zeitspanne von 2007 bis jetzt“, so Burghardt. 2012 unterschrieben Pink Lint schließlich einen Plattenvertrag bei Grand Hotel van Cleef.

Die Tinte war noch nicht ganz trocken, da packte Burghardt der Ehrgeiz. Drei Monate verkroch er sich, um an neuen Stücken zu basteln. „Ich wollte etwas schaffen, dass sich abhebt“, sagt er. „Zum Schreiben bin ich immer einen Tag pro Woche in die damals leer stehende Wohnung meiner Mutter gefahren und da kam tatsächlich jedes Mal ein Lied bei rum. Die neuen Songs klingen viel eigenständiger, sie sind komplexer und beatlastiger als unsere alten Sachen.“ Gängige Songstrukturen wie Strophe – Refrain – Strophe gibt es im Universum von Pink Lint nicht.

Wer gerne eine Schublade hätte: Wenn irgendwo zwischen Okkervil River und Why? noch Platz ist, könnte man Pink Lint dort hinein stecken. „Ich mag aber auch total gerne das Album ‚The Head On The Door’ von The Cure“, so Burghardt. „Weil die Lieder alle so unterschiedlich klingen und keins dem anderen gleicht.“ Ein Merkmal, das auch auf „You Might Lose A Few Teeth But It’s Fun“ zutrifft. Die von Lolo Blümler in den Ironbar Studios in Darmstadt aufgenommenen Songs haben einen warmen Sound, sind abwechslungsreich und opulent arrangiert: Das Grundgerüst aus Bass, Gitarre und Schlagzeug schmückte die Band mit Mandoline, Vibraphon, Glockenspiel, Synthesizern, Samples, Percussion, Lapsteel, Charango, Orgel, Klarinette, Marimbaphon und Autoharp aus. Obendrauf holten sie für Trompete, Posaune, Flügelhorn, Tuba, Cello und Violine noch Gastmusiker ins Studio. Man gönnt sich ja sonst nichts. Doch so direkt „You Might Lose A Few Teeth But It’s Fun“ musikalisch ist, so geheimnisvoll bleiben die Texte. „In vielen Songs geht es um die Unzulänglichkeiten des modernen Lebens“, verrät Burghardt. Die verspielte, erste Single „The Great Balloon Of All Things“ zum Beispiel handelt von Veränderung und gegenseitiger Toleranz, in der melodiösen Midtempo-Nummer „MMXI“ hadert Burghardt mit seiner „Maybe“-Generation, die immer auf der Suche nach etwas Besserem ist, und das schön knarzende „The Cast Of Port Marathon“ erzählt von einer oberflächlichen Clique à la Beverly Hills. „Die Themen kommen bei mir oft kollagenartig zusammen“, sagt Burghardt. „Es geht um Dinge, die ich sehe oder erlebe. Aber auch Literatur ist ein großer Einfluss. Während das Album entstand, habe ich zum Beispiel ‚Infinite Jest’ und ‚The Pale King’ von David Foster Wallace gelesen.“

Wer sich jetzt noch fragt, was der kryptische Albumtitel soll: „You Might Lose A Few Teeth But It’s Fun“ steht im Grunde dafür, etwas zu wagen. „Es kann zwar alles daneben gehen, aber es ist trotzdem besser zu springen, die Augen zu schließen und zu gucken, was passiert“, so Burghardt. „Wenn man danach einen Zahn weniger hat, ist das auch okay. Dann hat man die Erfahrung wenigstens gemacht.“ Pink Lint sind mit ihrem Album gesprungen. Aber sie dürften weich landen.

Nadine Lischick

 
Marcus Wiebusch


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