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Sven Regener | Freitag 06/05 2011 20.00 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: 18,45 € abk: 19,00 € |
Sven Regener: Meine Jahre mit Hamburg-Heiner
Volle Kraft voraus: Sven Regener unterwegs.
Fans von Herr Lehmann wissen die hohe Kunst des ausschweifenden Gedankengangs zu schätzen. Fans der Songtexte von Element of Crime dagegen lieben die Pause zwischen den Zeilen und die präzisen, poetischen Miniaturen zwischen mondlosen Nächten und Getränke-Hoffmann. Bücher und Liedtexte haben einen gemeinsamen Ursprung: Sven Regener. Und dieser Musiker und Literat (oder umgekehrt) hat über einen Zeitraum von fünf Jahren die dialogreichsten und scharfsinnigsten Logbücher verfasst, die je bei Fahrten durch stürmische Seen und stehende Gewässer entstanden sind. Kein Hauch von Seemannsromantik, wenn es darum geht, sich selbst, die mitfahrende Mannschaft, die vorgefundenen Orte oder Abdriften in tageweise geführten Einträgen zu skizzieren.
Was einmal in die Regenersche Durchdenkmaschine hineingeraten ist, kommt nicht ungeschoren wieder heraus. Vielleicht auch nie mehr. Und wer will nicht dabei sein, wenn Regener auf der Suche nach einer „Arno-Schmidt-Gesellschaft“ über die Frankfurter Buchmesse stolpert, auf Element-of-Crime-Tournee in einen Paranoia-Rausch gerät, Österreich und Deutschland miteinander versöhnt, Busfahrer Udos Meinung über den Hersteller der Wuppertaler Schwebe-bahn unter die Leute bringt oder im Tonstudio von Nashville die Schuhmode seiner Bandmitglieder tiefenpsychologisch ausleuchtet? Regener steigt hoch ein und tief hinunter: Die
Verhörkeller des Auswärtigen Amtes und die Zille-Biergärten der Berliner Unterwelt, die Kürbisausstellungen auf den Spargelhöfen bei Beelitz und die Bibelverlagsanstalten des Mittleren Westens der USA – Sven Regener ist sich für keinen Ort zu schade, kein Wissen ist ihm zu gefühlt, kein Urteil zu vorschnell, kein Satz zu lang und kein Witz zu schal, wenn es darum geht, der Welt, wie er sie wahrscheinlich nicht einmal vorfindet, Herr zu werden.
Und dann ist da auch noch Hamburg-Heiner, Freund, Feind, Kritiker und Einpeitscher zugleich, der fast täglich anruft um Regener gedanklich auf Kurs zu halten, etwa mit einem Streit über die korrekte Notation von „Oh Tannebaum“ oder einer Diskussion über die Bedeutung österreichi-scher Herrschaft über Hamburg-Altona in den Jahren 1864-66.
Moderne Logbücher werden nicht mehr auf salzfeuchtem Papier verfasst, sondern als sogenannte Blogs direkt ins Netz gestellt. Und immer häufiger auch mit Handyfotos versehen, die wie Positionslaternen, den Text beleuchten. Liest man die Einträge alle auf einen Schlag, dann be-merkt man plötzlich, dass da etwas ganz eigenes entstanden ist, ein Hybrid zwischen Tagebuch und Roman, ein Seemannsgarn in der Tradition der großen Fabulierer und Schwadronierer, der Quatschköppe und Knalltüten, oder wie Hamburg-Heiner es sagen würde: „Wenn schon Jahrhundert, dann ja wohl das 18.!“ Und im übrigen ein Meisterwerk der
Nebelbombentechnik, wenn es darum geht, das Private zugleich öffentlich und dabei aber komplett undurchschaubar, wenn nicht gar unsichtbar, auf jeden Fall aber höchst verwirrend und seltsam komisch durch den Wolf zu drehen.
Hamburg-Heiner: Weißt du, was ich an den Telefonaten mit dir so mag?
Sven: Nein.
Hamburg-Heiner: Dass sie mir immer vor Augen führen, in was für einer heilen Welt wir leben. Ein Telefonat mit dir ist ein bisschen wie Dixielandfrühschoppen oder eine Runde Minigolf.
Sven Regener wurde 1961 in Bremen geboren, ist Sänger und Texter der Band Element of Crime. Ihm gelangen mit seinen Büchern Herr Lehmann (2001), Neue Vahr Süd (2004) und
Der kleine Bruder (2009) sensationelle Erfolge. Alle drei Romane standen monatelang auf den Bestsellerlisten. Die in Meine Jahre mit Hamburg-Heiner enthaltenen Blogs sind zwischen 2005 und 2010 für diverse internetforen entstanden, u.a. Spiegel.de, taz.de und standard.at.
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