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Bushido | Dienstag 17/05 2011 20.00 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: 29,20 € abk: 30,00 € |
Er ist ohne Frage der Mann der Stunde. Nicht nur im deutschen HipHop, nicht nur in der deutschen Musikszene, nicht nur in der deutschen Popkultur. Er ist, schlicht und ergreifend: der Mann der Stunde über alles. Er sammelt Erfolge wie andere Panini-Bildchen; was er anfasst, wird zu Gold: Platten, Bücher, Filme, Tourneen. Kein wichtiger Musik-Award, den er in den letzten Jahren nicht abgeräumt hätte: Echos, Cometen, European Music Awards. Er lässt sein Leben von Deutschlands erfolgreichstem Produzenten-/Regie-Gespann verfilmen – und landet auch damit einen Hit. Er definiert eine neue Coolness, die gefährlich und spannend, unkalkulierbar und aufregend ist. Er verfügt über einen Style, nach dem sich ganze Heerscharen junger Trendsetter richten. Es ist die Zeit des Anis Mohamed Youssef Ferchichi, inzwischen 31-jährig, gereift, klug, aber deswegen noch lange nicht gewöhnlich.
Doch das Wichtigste dabei: Er entwickelt sich weiter. Kein Ausruhen auf Erreichtem, kein Bräsigwerden durch zu viel Erfolg. „Zeiten ändern dich“, so heißt das neue Album, der Kinofilm, die Tour. Ein Titel, der ihm Programm ist: Bushido hat sich geändert, die Zeit hat ihm geholfen. Er ist mittlerweile einer der größten Stars in Deutschland – und doch konstant auf der Suche. Nach neuen Darstellungsformen, neuen Beats und Sounds, neuen Inhalten, neuen Perspektiven und Lebenssichtweisen. Bushido bewegt sich – und bleibt dabei doch ganz er selbst: Ein Mann, der das Spiel der Emotionen beherrscht, der sich öffnet und trotzdem enorm unberechenbar bleibt.
„Es gibt Leute, die besser rappen als ich“, sagt Bushido ganz realistisch. „Und es gibt darunter solche, sie auch über eine gewisse Außenwirkung verfügen. Und trotzdem hat keiner aus dem HipHop-Geschäft auch nur annähernd das erreicht, was ich erreicht habe.“ Es ist evident: Es gibt da etwas an der Figur Bushido, das weiter reicht, das die Metaebenen von Erfolg, Präsenz und Charakter berührt, zu denen andere HipHop-Künstler keinen Zugang haben. Viele Faktoren kommen dabei zusammen; allen voran steht indes seine Authentizität: What you see is what you get. Kein Gepose ohne Grund, keine Selbstüberzeugung ohne dringlichen Anlass. Überhaupt: die Dringlichkeit – auch so ein Wert, der Bushido immer begleitete. Beschäftigt man sich mit seinem Leben, so bekommt man schnell den Eindruck: Alles musste so kommen. So sein. So werden. Sein extremer Erfolg ist kein Zufall.
Dabei begann es wie bei so vielen Migrantenfällen aus Berlin Tempelhof: Die Lebensperspektive reichte ursprünglich nur von hier bis zum nächsten Block. Es gab den typischen Weg eines jungen Menschen ohne Chance und Perspektive: Aufwachsen ohne Vater. Leben auf der Straße. Graffiti. Rap. Kiffen. Ticken. Schlägereien. Schulabbruch. Jugendknast. Wieder aufstehen. Weitermachen. Musik entdecken. Voran kommen. Der Weg eines Kriegers der Straße – daher auch der Name Bushido, was auf japanisch ‚Krieger’ bedeutet. Ein enorm zielgerichteter Krieger, der alles daran setzte, seinem vorgezeichneten Schicksal zu entkommen.
„Ich wollte, dass jeder mitbekommt, dass es mich gibt“, sagt er. „Deswegen bin ich rausgegangen, habe meinen Namen auf Züge und Wände geschrieben. Aber das ist schon lange nicht mehr der Antrieb, das habe ich längst erreicht.“ Man kennt die Stationen, die darauf folgten: Erste Tracks mit Kollege Fler, erste Alben bei ‚Aggro Berlin’, erste Deutschland-Tourneen, Gründung des eigenen Netzwerkes ‚ersguterjunge’. Und ständig weiter.
All das kann man derzeit im Kino begutachten. Starproduzent Bernd Eichinger nahm sich Bushidos Lebensgeschichte an, die Regie führte Eichingers Haus-Produzent und Biopic-Profi Uli Edel („Christiane F.“, „Der Baader Meinhof Komplex“). „Zeiten ändern dich“, der Film, ist ähnlich erfolgreich wie das Buch, auf dem er basiert: Bushidos Memoiren, Anfang 2009 erschienen – und über Nacht auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste gestiegen. Ein weiterer Beleg dafür, dass Bushido bewegt, aufwühlt und selbst die Ignoranten und Gegner enorm neugierig macht.
Und doch war nicht immer alles eitel Sonnenschein. Gerade die letzten beiden Jahre waren voll von Störungen und Unstimmigkeiten, von innen wie außen. Doch gerade die inneren Ungleichgewichte zählten, wie immer bei Bushido. Alles schien erreicht; was will man als nächstes tun, wenn man Deutschlands erfolgreichster Rapper aller Zeiten ist? Die Wende kam durch eine Tragik, wie so oft in Bushidos Leben: die Krebserkrankung seiner Mutter ließ ihn aufwachen. „Meine Mutter ist das Allerheiligste auf der Welt. Egal, ob ich die Schule abgebrochen habe, Liebeskummer hatte oder die Kripo eine Hausdurchsuchung bei uns machen wollte, sie hat immer zu mir gestanden. Hätte sie sich nicht genau so verhalten, dann würde ich heute nicht hier sitzen.“
So begleitete er seine Mutter eng durch die ganze Krankheit. Keine Chemotherapie ohne seine direkte Anteilnahme, kein Abend voller Hoffnungslosigkeit ohne seine optimistischen Parolen. Das Dabeisein in Momenten totaler Ehrlichkeit sich und der Welt gegenüber haben Bushido, den Mann von der Straße, den derben Checker, der sich nichts sagen lässt, nachhaltig verändert: „Es ist ja auch anstrengend, immer diese negativen Vibes, immer nur Ärger, immer nur böse gucken. Grundsätzlich ist das natürlich genau mein Ding, und wir haben es jahrelang zelebriert. Aber gerade in Anbetracht des Leidens meiner Mutter merkte ich, wie unwichtig das alles ist.“
Von diesen Erlebnissen, von der gewonnenen Reife und Weitsicht berichtet nun auch sein neuntes Studioalbum „Zeiten ändern dich“. Ein programmatischer Titel, zugleich einer, der zeigt, wie sehr Bushido in Bewegung ist. Er hat sein Schicksal in die Hand genommen, er denkt, rappt, produziert weiter als andere. Er ist und bleibt: der Krieger, der Einzelkämpfer, der gute Junge, der mit seinem Label ‚ersguterjunge’ die Trademarks setzt, die anno 2010 den Klang des Zeitgeists bestimmen. Größtenteils selbst produziert – mit einiger Hilfe von alten Wegbegleitern wie Kay und Beatzarre und überraschenden Features wie dem Rödelheimer Moses P. – sprechen die 19 Tracks des Albums für sich.
Bushido hat eine Zielgenauigkeit beim Definieren der Popkultur, die atemberaubend ist. Ob er vollkommen auf sich gestellt seine Beziehung zu seiner Mutter aufdröselt oder sich mit begeisternden Gästen wie Glashaus, dem alten, wieder zurück gekehrten Buddy Fler oder der Opernsängerin Leah Delos Santos in einen ergreifenden Feature-Clinch begibt: Das alles ist so pur, direkt und kraftvoll, dass man sich seiner Magie nicht entziehen kann.
Erst recht im Konzert: Da lebt Bushido auf. Dort wird er zu dem Kämpfer für die intensiven Momente, die sein gesamtes bisheriges Leben kennzeichneten. Erst nahm er Deutschland im Sturm, jetzt geht es hinaus ins vereinte Europa. Was zeigt: Seine Beats und Rhymes sind international. Das ist keine große Überraschung. Drum, jetzt, hier: Bushido over Europe. Wird Zeit, dass auch andere Länder seine Live-Grandezza entdecken.
Und auch hier wird es spannend bleiben. Denn das Phänomen Bushido in letzter Konsequenz zu erklären, bleibt unmöglich. Weiß er auch selbst, wie er abschließend sagt: „Die meisten Menschen sind noch immer eher verängstigt, wenn sie mit mir in Berührung kommen. Nicht, weil sie wirklich denken, dass ihnen etwas passieren wird. Sondern einfach, weil ich für etwas stehe, das sie nicht verstehen.“ Lernen wir ihn kennen. Lernen wir Bushido verstehen. Lernen wir, was es heißt, ein Krieger zu sein.
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