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Zeraphine + Sylic | Freitag 01/10 2010 21.00 h Bielefeld, Kamp
| vvk: 16,65 € |
– Wo? –
Wo Zeraphine in den letzten vier Jahren waren?.
Nun, es liegt auf der Hand, dass diese Frage gestellt wird. Schließlich sind vier Jahre eine Lange Zeit im Musikzirkus. Aber – um es vorwegzunehmen – die Mitglieder der Berliner Band waren nicht untätig. Einige von ihnen verfolgten andere musikalische Projekte. Sänger Sven Friedrich veröffentlichte beispielsweise ein Album mit seinem Soloprojekt Solar Fake und lebte dort seine elektronische Seite aus. Letztendlich benötigte das Quintett diese Periode, um einen Weg für die Veröffentlichung des neuen Albums zu finden. Still, die letzte CD, erschien auf dem bandeigenen Label Phonyx. Der Vorteil dieser Variante liegt klar auf der Hand: maximale Entscheidungsfreiheit in allen Belangen. Der Preis, den die Musiker dafür bezahlen mussten, hieß: Aufwand. Auch wenn man „nur“ die eigene Band betreut, der Arbeitsaufwand ist enorm. Also suchten Zeraphine nach einer Alternative, nach einem offenen Modell ohne die festgefahrenen Strukturen. Es dauerte eine Weile, aber mit dem BMG Rights Management fand man schlussendlich den idealen Partner.
– Was? –
Was auf Whiteout anders ist?
Zeraphine bedienen sich anfangs einer Finte. Nach dem atmosphärischen Intro Erwachen brüllt uns das verzerrte Lieber allein an. Es will uns glauben machen, dass Whiteout laut, brachial und vielleicht sogar gesellschaftskritisch ist. Wir ersparen uns an dieser Stelle die schon oft geführte Diskussion darüber, in welcher Sprache Sven Friedrich seine Lieder singt. Viel wichtiger ist, dass sich das fünfte Album des Quintetts gleich nach dem eröffnenden Täuschungsmanöver als ungemein ausgewogen darstellt. Die Harmonie nimmt man erst nur unbewusst war. So wie die Ruhe vor dem Gewittersturm, die einem urplötzlich bewusst wird, nachdem man schon minutenlang durch die Stille der Natur ging – sich fragend, was denn nur anders sei als sonst. Noch nie war das Zusammenspiel der Instrumente so stimmig, ihre Gewichtung untereinander dermaßen ausbalanciert. Nie zuvor korrespondierten Strophen und Refrains so gut miteinander, lagen diese Elemente derart gleichberechtigt auf einem Niveau und kamen ohne das übliche Laut und Leise aus.
Für Whiteout wurden viele Sessions im Proberaum abgehalten, in deren Verlauf die neuen Songs unter Live-Bedingungen gespielt und schließlich auch aufgenommen wurden. Dieses Verfahren und auch die Tatsache, dass bereits beim Songwriting versucht wurde, den Hörer vom ersten Ton an und durch intensive Strophen zu fesseln, führte zum neuen, zu diesem unglaublich ausgereiften und harmonischen Zeraphine-Sound.
– Warum? –
Warum keine schöne heile Textwelt?
Warum die Welt in seinen Texten nicht einfach einmal schön sein kann habe ich Sven Friedrich gefragt, nachdem ich das bezaubernde, letztendlich aber doch von Dunkelheit geprägte Fast-Liebeslied Louisa zum ersten Mal gehört hatte. „Weil sie es nicht ist“, antwortete der Texter knapp. „Was soll daran schön sein, dass der Mensch die Erde an jeder erdenklichen Ecke zerstört?“, fragte er mich und sprach von „Heuchelei“ und einem „unguten Gefühl“, wenn er einen durchweg positiven Song schriebe. Es gibt also auch auf Whiteout kein thematisches Konzept, sondern nur den roten Faden, dass die emotionalen Texte häufig die schlechten Eigenschaften der Menschen behandeln.
Stilistisch setzen die Berliner den in der Vergangenheit eingeschlagenen Weg fort. Deutlich hört man, welche Musik bzw. welche Künstler ihre Spuren bei den Bandmitgliedern hinterlassen haben. Placebo wäre da ein Name, der genannt werden muss. Natürlich: The Cure. Viele Stücke haben eine wunderbare, luftige Cure-Note dank der Gitarren („Die Cure-Note darf nicht fehlen“, so Sven Friedrich). Ein ganz klein wenig HIM (das Piano). Und wer The Stream aufmerksam hört, wird vielleicht wohlig an das grandiose Disorder von Joy Division erinnert. Das alles sind jedoch nur Nuancen, die hier und da durchblitzen und den ureigenen Alternative Rock von Zeraphine ergänzen. Unterstützt wurde die Formation auf Whiteout übrigens durch die Backings von Juliane Richter (Eminence Of Darkness/Dreadful Shadows) sowie die Streicher von M. Stolz und Benni Cellini (Letzte Instanz).
– Whiteout! –
„Ich fand das Bild sehr passend, dass Unterschiede verschwimmen, Himmel und Erde nicht voneinander zu unterscheiden sind, Konturen verwischen. Das spiegelt sich teilweise auch in den Texten wieder“, erläutert Sven Friedrich den Begriff „Whiteout“, dessen genaue Bedeutung heutzutage jeder bei Wikipedia eruieren kann.
Das Album Whiteout markiert den vorläufigen Höhepunkt einer beachtlichen Karriere, in deren Verlauf Zeraphine in Sachen Alternative Rock nationale Maßstäbe gesetzt haben. Man kommt an dieser Band und speziell an dieser CD im Jahr 2010 einfach nicht vorbei, wenn man gut gemachte, ehrliche und sinnvolle Gitarrenmusik sucht.
Berlin im März 2010, Stefan Brunner
Line-Up
Norman Selbig (Gitarre)
Sven Friedrich (Gesang)
Manuel Senger (Gitarre)
Michael Nepp (Bass)
Marcellus Puhlemann (Schlagzeug)
Thommy Hein (Produktion)
Seit 2005 spielen SYLIC nun in der aktuellen Besetzung. Vom METAL HAMMER gelobt
tobten sie sich auf den verschiedensten Bühnen aus, z.B. als Support für End of Green und
Lacrimas Profundere. 2010 soll das Jahr des Trios werden.
Im Oktober wird das erste Album mit dem Titel 'high times for a low life' erscheinen.
Das erste SYLIC-Konzert überhaupt gab es im Vorprogramm von ZERAPHINE im Jahr
2004. Nun gibt es am 01.10. ein Wiedersehen in Bielefeld.
Viel ist passiert aber eins ist sicher: Bielefeld wird gerockt!
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