|
JAN DELAY & DISKO No1 + Das Bo | Freitag 09/10 2009 20.00 h Bielefeld, Stadthalle
| vvk: ausverkauft |
Aufgrund der großen Nachfrage vom Ringlokschuppen in die Stadthalle verlegt. Der Superlativ war schon immer die wichtigste Währung im Pop, so etwas wie seine lingua franca. Aber natürlich wissen wir nicht erst seit gestern, dass Papier außerordentlich geduldig ist, und nicht immer das drin steckt, was jemand draufgekritzelt hat. Man hat gelernt mißtrauisch zu sein. Nur bei diesem Typen aus Hamburg erscheinen einem die eigenen Superlative von gestern wie hinter vorgehaltener Hand gemurmelte Untertreibungen. Wer hätte aber auch ahnen können, dass Eißfeldt als Jan Delay sowas von mit Würde Nena covert, auf seinem Solodebüt mit Reggae den Deutschen Herbst streift und ein Weilchen später mit irgendwie Funk den Kartoffelacker pflügt und, man muss das so graderaus sagen, gegenwärtig auf dem besten Weg ist, hiesigen Pop zu retten. Wer Jan Delay und Disko No.1 in den vergangenen eineinhalb Jahren live gesehen hat, weiß, wovon hier die Rede ist. Der saubere Herr bedient sich ganz bewusst all der produktiven Missverständnisse, die entstehen, wenn z.B. Musik afro-amerikanischer Provenienz als „urban“ oder „black music“ bezeichnet, der Funk gefaked oder der Soul teutonisiert wird. Als der an HipHop geschulte, viel bessere Manfred Krug rührt er etwas Northern Soul unter, gibt Disco dazu, verbeugt sich vor Rio Reiser, raved kurz durch und hebt schließlich zum Duett mit Udo Lindenberg an. Zwischendrin gibt’s Gags, Call & Response und jede Menge Ringelpiez zum Mitmachen für Abertausende. Dabei wird die Chose keine Sekunde peinlich, hier wird nicht angebiedert oder etwas versprochen, was nicht gehalten werden kann. Das überlassen Jan Delay und Disko No.1 den Promis, Sternchen und selbsternannten, nun ja, Stars. Dem Großwesir der pophistorischen Echokammer und seiner wunderbaren Band, für die sich die musikalischen Direktoren großer Revuen in Las Vegas ihrer schwarzen Seelen entledigen würden, geht es vielmehr um großes Entertainment, um Pop mit Rückgrat, um Show ohne show off, um echt ohne authentisch. Hier wird angeknüpft an die guten Zeiten und Seiten deutschsprachiger Popmusik, die ihre angloamerikanischen Referenzen ernst nimmt, aber so weit verinnerlicht hat, dass sie sich mit Leichtigkeit davon lösen kann. So entsteht etwas, was wir hier seit mindestens Ewigkeiten nicht mehr zu hören bekommen haben: etwas wirklich Eigenes und Neues.
2009 ist es dann endlich soweit: JAN DELAY wird sich mit neuem Musikmaterial präsentieren. Das „Mercedes Dance“ Nachfolgealbum schlägt wieder in die Kerbe Funk, Soul, Disco, Nothern Soul und toppt musikalisch alles bisher in diesem Bereich im deutschsprachigen Raum da gewesene.
DISKO No.1 sind:
Loomis Green - Gitarre
Ali Busse - Bass
Jonas Landerschier - Orgel, Keys
Jost Nickel - Schlagzeug
Lieven Brunckhorst - Saxophon
Sebastian John - Posaune
Philipp Kacza - Trompete
Esther Cowens - Background Vocals
Ngone Thiam - Background Vocals
Maud Rakotondravohitra - Background Vocals
Das Bo, Hamburger Kind eines bosnischen Gastarbeiters und einer deutschen Mutter, wird Anfang der Neunziger - gelangweilt und unterfordert vom suburbanen Kleinstadtleben in einem Hamburger Vorort, für das sich seine Eltern entschieden hatten als er 13 Jahre alt war - musikalisch aktiv.
Deutschsprachigen Rap, wie man ihn heute kennt, gibt es noch nicht. Bei einem einjährigen USA-Aufenthalt merkt Das Bo, dass er mit seinem Schulenglisch nicht weit kommen wird und entschließt sich auf Deutsch zu rappen. Nach seiner Rückkehr in die Heimat feiert Deutschland gerade den ersten Nummer-Eins-Hit mit deutschem Rap und in den Jugendhäusern der Republik ist HipHop die Musik der Kids. Der Weg ist frei für Deutsch-Rap und Das Bo ist einer der Pioniere.
1994 gründet Das Bo zusammen mit Tobi Tobsen Der Tobi und das Bo, schnell werden erste Achtungserfolge gefeiert. Nach den Singles „Der Racka“ und „Morgen geht die Bombe hoch“ (das dank eines hanebüchenen Augsburger-Puppenkisten-Videos im Musikfernsehen heißläuft) sowie dem Album „Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander“ finden sich die beiden als Gastrapper der Fettes-Brot-Single „Nordisch by Nature“ im September 1995 erstmals in den Top 20 der deutschen Single-Charts wieder. Bo: „...den Text haben wir auf der Autofahrt ins Studio geschrieben...“.
Kurze Zeit später stoßen Marcnesium und DJ Coolman dazu: Die Kultformation Fünf Sterne Deluxe ist geboren und das Tor zur Welt steht sperrangelweit offen. 1998 erscheint das Album „Sillium“ mit den Hitsingles „Willst Du Mit Mir Gehen“ und „Dein Herz Schlägt Schneller“ und entert auf Anhieb die Top 30 der Media Control Charts. Die „Sterne“ sind Headliner bei allen großen Festivals und touren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Nebenher absolviert Das Bo als Mitglied der legendären „Mongo Clikke“(u.a. Jan Delay, Dendemann, Samy Deluxe,) Gastauftritte bei den (damals noch Absoluten) Beginnern und schafft den Hit des verregneten Sommers 2000: „Türlich, Türlich (Sicher Dicker)“ wird zum Meilenstein und HipHop-Klassiker (unlängst tauchte der Party-Evergreen wieder in den deutschen Charts auf – diesmal in der Version von Bos Weggefährten Jan Delay). Er verkauft 220.000 Einheiten und gelangt bis auf Platz fünf der Singlecharts. Im gleichen Jahr gelingt Fünf Sterne Deluxe mit ihrem zweiten Album „Neo.Now“ der Sprung auf Platz fünf der Albumcharts. Bos Solo-Debütalbum „Best Of III / Alleine“ folgt im Juni 2004 und enthält u.a. die Single „Ich hab Rap für dich“.
Anfang der 2000er geht mit der Single „Wir sind im Haus“ die Fünf-Sterne-Ära zu Ende, die Mitglieder beschließen, sich fortan ihren Soloprojekten zu widmen. Das Bo betreibt musikalische Zeitüberbrückung und kooperiert u.a. mit Jansen & Kowalski („Wie geil ist das denn? (Dicke Anbiete)“), DJ Tomekk („Eey Yo (Eeeeins)“) und Dancefloor-Legende Alex Christensen bzw. U96 (“Mr. DJ Put On The Red Light“). Außerdem ist er der erste Rapper, der zusammen mit dem Hamburger Produzenten Petone Tracks für das „80’s Flashback“-Projekt aufnimmt.
Während der Produktion zu „80’s Flashback“ produzieren Das Bo und Petone „Ohne Bo“ als Single für „Dumm Aber Schlau“, Das Bos zweitem Soloalbum. Zusammen ringen die beiden Hanseaten dem Münchener-Freiheit-Klassiker „Ohne Dich“ eine Party-Hookline ab und veredeln die neue Bo-Hymne mit einem Top-Ten-tauglichen Miami-Bass-Arrangement. Auf die Eingebung, den 1986er-Hit nach mehr als zwei Dekaden wieder zu beleben, war Bo selbst gekommen. „Die Ideen bei mir hab ja meistens ich“, gibt er klar zu verstehen. „Petone und ich haben aber ziemlich lange rumprobieren müssen, bis es hingehauen hat. Das war nicht so einfach, denn der Song ist ja stilistisch auch etwas ‚grenzwertig’ bzw. extrem poppig“, erklärt Bo. „Aber das ist natürlich Absicht: Ein Partysong mit Ansage.“ Die langfristige Strategie dahinter gibt Bo ebenfalls preis: „Ich werde die Leute abhängig von mir machen und dann können sie nicht mehr ohne mich.“
Doch Bo ist auch ein Mann, der seine Pflichten kennt. Er fragt nicht, was Hamburg für ihn tun kann - sondern, was er für Hamburg tun kann: Am 14. Februar 2008 trat er im Rahmen des „Bundesvision Song Contest“ als einer der Favoriten in Hannover mit dem Song „Ohne Bo“ für seine Heimatstadt an.
Die lange Pause zwischen seinen letzten Solo-Sachen und dem 2008er-Veröffentlichungen hat einen ganz pragmatischen Grund. „Ich musste meine kompletten Business-Strukturen neu aufbauen“, erklärt Bo. „Es ist ein langer Prozess, den man abwickeln muss, wenn man bei einer Plattenfirma und einem Management raus will. Fast schwieriger und langwieriger ist es dann allerdings, neue Partner zu finden, die verstehen was ich will.“ Doch nun steht das neue Set-Up, und Das Bo ist mit dem neuen Management und seiner neuen Plattenfirma mehr als zufrieden: „Die sind groß – und ich bin groß. Ich habe mich für Entertainment entschieden und möchte etwas Farbe in die graue Welt bringen. Jetzt schwimme ich mit den Business-Haifischen im Schwarm und kann als Paradiesfisch entspannt meine Wege gehen.“
Um seinen Platz in der heutigen HipHop-Szene macht sich der Genre-Veteran keine Sorgen: „Ich bin keiner, der vergangen Zeiten und Sachen nachtrauert. Wenn das, was man selbst möchte, nicht da ist, dann muss man das eben schaffen. Ich weiß, dass ich überall respektiert werde - unabhängig von irgendwelchen Inhalten oder der Art und Weise, wie ich gerade Musik mache. Die Leute merken einfach das ich ehrlich bin und mich nicht verstellen muss“ Einen großen Unterschied zu früher sieht er sowieso nicht: „Eigentlich ist der HipHop heute nichts anderes als was Tobi und ich gemacht haben: Wir haben damals im Partykeller von Tobis Vater gesessen, Bong geraucht, Bier getrunken und Scheiße gelabert. Und die Jungs heute machen eigentlich dasselbe, ziehen ab und zu noch ne Line und haben halt einen anderen sozialen Hintergrund. Und deshalb ist das eigentlich nur inhaltlich anders. Im Prinzip sind das immer noch junge Leute, die kreativ sind und erzählen, was so bei ihnen los ist. Ich habe da keinerlei Berührungsängste und sehe eher den Menschen an sich.“
|