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Rise Against + Strike Anywhere + Rentokill | Sonntag 08/02 2009 20.00 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: Ausverkauft |
Tim McIlrath – vocals, guitars
Joe Principe – bass
Brandon Barnes – drums
Zach Blair –guitar
Wahre Kunst kann man nicht erzwingen. Musikalische Schöpfungen werden von purer
Inspiration oder Glücksmomenten zum Leben erweckt. Anschließend werden sie mit viel
Arbeit und Hingabe zur Perfektion gebracht. Leider haben viele Künstler sich dazu
entschieden, Songs mit Fließband-Mentalität nach Schema F zu verfassen. Sie füllen
Alben mit formalisiertem Liedgut, mit Pseudo-Toleranz und aggressivem
Überlegenheitsgehabe, wie man es im kommerziellen – und definitiv nicht kreativen –
Umfeld erleben kann.
Dagegen gibt es für die Melodic Hardcoreband aus Chicago, die sich den Normen der
Musikindustrie verweigert, nach Angaben von Frontmann Tim Mcllrath, keinen
vorbestimmten Rahmen. Wie McIlrath sagt, mache der Vierer -Bassist Joe Principe,
Drummer Brandon Barnes and Gitarrist Zach Blair – seine Alben ohne präzise
Planungen, und das gilt auch für das neue „Appeal To Reason“.
„Wir gingen mit der gleichen Einstellung an diese wie an die vorigen Platten. Genau
genommen, ist es eine fehlende Einstellung“, sagt Mcllrath, „es ist einfach ein Fall von
,Lasst uns treffen und spielen‘. Es gibt keinen Plan, wir machen kein Konzept, wir reden
nicht über eine Richtung. Wir lassen es auf natürliche Art passieren -und genau so ist es
geschehen.“
„Wir besitzen keine musikalische Formel“, stimmt Principe zu, „aber wir schreiben
ständig während wir touren. Jede Idee, die wir haben, probieren wir aus. Wir setzen uns
keine Grenzen.“
Blickt man auf die Karriere von Rise Against, sieht man, dass die Band organisch
wuchs. Sie wurzelte im nationalen Punk-Untergrund und erblühte zu einem Phänomen,
welches das Leben von Millionen Hörern auf der ganzen Welt berührt – nichts war geplant
und vorgeschrieben. Mit Hartnäckigkeit, Überzeugung, Kunstfertigkeit und Engagement
ragten Rise Against aus der lokalen Chicago Szene mit den frühen Indie-Scheiben „The
Unravelling“ (2001) und „Revolutions Per Minute“ (2003) hervor. Indem sie im
Vorprogramm wichtiger nationaler Tourneen rockten, machten sie sich landesweit einen
Namen.
2004 gelang der Band mit „Siren Song Of The Counter Culture“ der Durchbruch, dank
ihrer Fans nähert sich das Album inzwischen der Goldmarke. Fast ein Jahr tourte die
Gruppe, um neue Freunde und Langzeit-Anhänger zu erreichen. Die Singles „Give It All“
und das introspektive „Swing Life Away“ gewannen Herz und Verstand der Hörerschaft
alternativer Radiostationen in ganz Nordamerika. Nachfolger „The Sufferer And The
Witness“ (2006) konnte einen ähnlichen Erfolg feiern, die engagierte erste Single „Ready
To Fall“ kam auf heavy rotation im Radio, gefolgt von den nicht minder populären „Prayer
Of The Refugee“ und „Good Left Undone“.
Doch Rise Against sehen keinen Anlass, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen. Für
„Appeal To Reason“ arbeiteten sie erneut mit ihrem bewährten Produzenten-Team aus
Bill Stevenson (NOFX, Evan Dando, Comeback Kid) und Jason Livermore sowie Mixer
Chris Lord Alge (Green Day, My Chemical Romance, AFI). Ort des Geschehens war
wiederum ihr „Home Studio“, der Blasting Room in Fort Collins, Colorado, wo sie zwei
Monate an ihrer neuen Kreation arbeiteten. Doch genau hier endet die Ähnlichkeit mit
den vorangegangenen Werken.
Anstatt genau die erforderliche Zahl an Songs für ein volles Album zu schreiben, sei die
Band dieses Mal weitaus kreativer gewesen, berichtet Mcllrath. In der ersten Woche
sammelte sie eine Idee nach der anderen, ohne etwas aufzunehmen. „Wir schrieben eine
gigantische Anzahl an Liedern. Normalerweise verfassen wir genau so viele Songs, wie
auf unsere Platten passen“, sagt Tim. „Du wirst keine verlorenen Rise Against B-Seiten
hören, wir haben selten Extra-Lieder. Dieses Mal aber hatten wir dreißig solide Ideen. Die
Dinge flossen aus uns heraus, die Einfälle sprudelten nur so hervor. Am Ende fiel es uns
sehr schwer zu entscheiden, welche davon wir auf die Platte nehmen wollten.“
Außerdem haben Rise Against kontinuierlich neue Elemente entdeckt und in ihren
Sound integriert. Beispielsweise nutzt die Band für „Long Forgotten Sons“ einen
Achtziger-Jahre-Vibe, zwischen The Cure und frühen Fugazi, während „The Strength To
Go On“ von Mcllraths Liebe zu Bands wie Tool beeinflusst wurde.
Für die Texte haben Rise Against ihr Spektrum ebenfalls erweitert, in „The Strength To
Go On“ hinterfragt Mcllrath welche Art von Information sich in der Gesellschaft
verbreitet. „Im Refrain geht es darum, woher wir unsere Informationen beziehen. Wer
gibt uns die Information? Wer hat Recht, wer hat Unrecht? Alles, was wir hören, hat eine
Färbung, wem kannst du trauen?“, fragt er. „Es geht darum, wie wir erzogen werden, wie
wir Wahrheit von Lügen unterscheiden – es geht um unseren ganzen Hintergrund. Genau
genommen, ist es schwer zu wissen, was richtig und falsch ist...“
Für das sanfte akustische „Hero Of War“ versetzen sich Rise Against in eine Generation
von Militärs, die zusätzlich zum Krieg im Irak ihren eigenen persönlichen Kriege mit sich
selbst ausfechten. Teilweise auf wahren Geschichten beruhend, ist der Song eine
Mischung verschiedener Charaktere, beginnend bei der Rekrutierung der Soldaten. „Es
berührt uns, wenn wir Shows spielen, wo die Armee ein Rekrutierungs-Zelt aufgestellt
hat“, sagt Mcllrath. „Darin sitzt ein Typ von der US Army, der Kinder einfängt. Wir reden
von diesen Kids, die Kriegsdienst als Möglichkeit sehen. Als ich 17 war, traf ich selbst
einen Rekrutierungsoffizier, weil ich darüber nachdachte, zum Militär zu gehen. Ich wollte
die Welt sehen. Wir bekommen eine Menge E-Mails von jungen Soldaten aus allen Teilen
der Streitkräfte. Sie gehen in unsere Konzerte. Sie erzählen dir Geschichten. Aus diesen
Geschichten besteht die erste Strophe.“
Die zweite Strophe dokumentiert Situationen in Abu Gharib, Guantanamo Bay, und dem
Haditha Rachefeldzug für eine IED Explosion (IED = Improvised Explosive Device). Und
die dritte Strophe basiert auf einer wahren Geschichte, die Mcllrath im Dokumentarfilm
„The Ground Truce“ sah. Den überwiegenden Teil der Worte schrieb er inspiriert von
Geschichten und Bildern aus dieser Dokumentation.
„Neil Young dokumentierte die Schüsse von Kent State in Ohio, viele Bands wie etwa
Creedence Clearwater Revival und Buffalo Springfield taten eine Menge“, sagt McIlrath.
„Von diesen Bands lernte ich mehr über den Vietnam Krieg als aus den
Geschichtsbüchern. Während dieser Krieg hoffentlich seinem Ende entgegen geht,
musste ich ein Lied schreiben, das sich mit der wahren Realität des Krieges befasst.“
Die erste Single des Albums ist der grade Vier-Akkord-Rocker „Re-Education (Through
Labour)“. „Eine gute Art, die neue Platte zu beginnen, denn dieses Album enthält eine
Menge Fortschritte und bietet etwas anderes“, sagt Principe. „Ich denke, dieser Song
repräsentiert uns am besten.“
Natürlich könnte keiner der Titel von „Appeal To Reason“ seine Wirkung entfalten, wenn
es kein Publikum dafür gäbe. So ist es für Mcllrath von höchster Wichtigkeit,
Verbindungen zu den Anhängern der Band zu schaffen – egal wie viele es sind, aus
welcher Szene sie stammen und auf welche Musik sie abfahren.
„Es geht immer noch darum, Leute zu erreichen und ihnen etwas zum Denken zu geben.
Es geht darum, sie herauszufordern, einen Dialog zu suchen und ihnen neue Ideen
anzubieten“, sagt der Frontmann. „Wenn du eine größere Anhängerschaft hast, macht es
noch mehr Spaß, denn plötzlich ist deine Stimme lauter. Dein Megaphon ist stärker. Das
ist aufregend und macht Spaß! Ich freue mich auf die nächsten Jahre mit dieser Platte!
Jetzt, da wir diese Fan-Basis haben, stellt sich die Frage, was wir mit diesem Privileg
anfangen werden.“
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