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In Extremo | Donnerstag 18/12 2008 20.30 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: 33,80 € |
In Extremo - „Sängerkrieg“
Wären alle Kämpfe zwischen Menschen so friedlich wie der „Sängerkrieg“ von In Extremo, die Welt wäre ein besserer Ort. Bei ihnen ist Streit willkommener Teil des kreativen Prozesses, sein Ziel ist das bestmögliche Lied.
Der Titelsong ihres neunten Albums steht stellvertretend für die neue Arbeitsweise des Berliner Septetts, das anno 2008 stärker auf Vernetzung und Vielschichtigkeit setzt. Der Text von „Sängerkrieg“ verknüpft Historie und Heute, den geschichtlichen Barden-Wettstreit aus der Zeit Walther von der Vogelweides mit den Unabwägbarkeiten des Musikgeschäfts der Gegenwart. Laut Dr. Pymonte, schwergewichtiger Dudelsackbläser und Texter dieses Liedes, gibt es noch eine weitere Ebene. „Man kann sogar von einem Sängerkrieg innerhalb der Band sprechen, in dem man freundschaftlich um die besten Ideen streitet.“
Auch musikalisch brechen In Extremo auf zu neuen Ufern, ohne alte Stärken zu vernachlässigen. „Sieben Köche“ besteht beispielsweise aus dichtem Rock mit treibendem Schlagzeug und groovendem Bass. Im Unterschied zu früheren Titeln sind die Dudelsäcke ins Arrangement eingebettet und verbinden sich problemlos mit den fetten Gitarren. Inhaltlich steht er für das neue Gruppengefühl der Mannschaft. „Bei uns schmeißt jeder sein Gewürz in den Topf. Heute kann ich akzeptieren, wenn ein anderer meine Ideen verbessert. Das ist ein Lernprozess, den ich durchgemacht habe, der letztlich unserer Musik zugute kommt“, kommentiert Sänger Michael Rhein (Das letzte Einhorn) den Status der Band.
Daneben stehen eine Halunken-Ballade wie „Frei zu sein“ mit wilden Gitarren und schweren Trommeln; der estländische „Zauberspruch“, dessen beschwörende Worte gegen Krankheiten helfen, wie Micha versichert; dazu „Die Flaschenpost“, ein harter Kracher, dessen Lyrik, so Dr. Pymonte augenzwinkernd „Sexualität, Lebenslust und Männlichkeit feiert“.
Der zeitübergreifende Stil von In Extremo ist inzwischen zur festen Größe nationaler und internationaler Bühnen geworden. Seit Gründung 1995 haben In Extremo auf nahezu jedem namhaften Festival überzeugt, von Rock am Ring bis zum Wacken Open Air, von Roskilde bis zu Clubs wie dem verschwitzten Berliner Knaack und dem Whiskey a Go Go in Los Angeles, in dem einst Jim Morrison und die Doors ihren hypnotischen Rock-Kult zelebrierten. Wie es sich für fahrendes Volk gehört, reisten die sieben Spielleute in den letzten Jahren durch zahllose Länder wie Russland, Tschechien, Slowenien, Dänemark, Niederlande, Österreich, Luxemburg, Belgien, England, Norwegen, Finnland, USA, Mexiko, Frankreich, Schweiz, Spanien, Chile und Argentinien.
Anhänger der rastlosen Rocker finden sich in allen Schichten und Szenen der Bevölkerung: Metaller, Gothics, Biker und Mittelalter-Freaks sieht man in ihrem Publikum genauso wie Väter mit ihren Kids und unternehmungslustige Fußballfans. Aufschlussreich ist auch die Liste der Gastkünstler, mit denen In Extremo über die Jahre zusammengearbeitet haben. Sie reicht von Thomas D. über Götz Alsmann bis zu Tommy Victor von den Metal-Core-Urvätern Prong, der zum Song „Sängerkrieg“ kraftvolle Hintergrundgesänge beisteuert. Prong zählen übrigens genauso zu den In Ex-Einflüssen wie Primus, Rush, Red Hot Chili Peppers, Tool, Helmet, Beatles, Ton Steine Scherben, Ougenweide, Lindenberg, Turbonegro, diverse Reggae-Größen und Klassik-Komponisten. Keinesfalls dürfen auch der manische Klaus Kinski und François Villon fehlen, letztere bewegen vor allem die Fantasie von Vokalist Rhein.
Auferstanden aus Ruinen…
Jeder der „sieben Kochkünstler“ hatte bereits vor In Extremo Musik gemacht. Kay Lutter („Die Lutter“) studierte Bass bevor er bei den DDR-Untergrundhelden Freygang anheuerte. Zusammen mit Trommler Reiner Morgenroth („Der Morgenstern“) und Frontmann Michael Robert Rhein spielte Kay später bei den Anarcho-Rockern Noah. Mit den angesagten DDR-New-Wavern Die Vision supportete Gitarrist Sebastian Lange („Der Lange“) Die Toten Hosen noch vor dem Mauerfall 1989 bei einem Undercover-Auftritt in Ost-Berlin. Dudelsackbläser Marco Zorzytzky („Flex der Biegsame“) brachte sich die Flötentöne für die Mittelalter-Formation Spilwut bei, Boris Pfeiffer („Yellow Pfeiffer“), das einzige Bandmitglied mit Wurzeln im „amerikanischen Sektor“, blies im Auftrag von Lumpazi Vagabundus die Sackpfeife, während Dr. Pymonte bei Eikboom Folk intonierte.
Rock-Musiker in der DDR hatten es nicht leicht. Sie mussten eine feste Anstellung nachweisen und einen Einstufungstest überstehen. Dazu „landete jeder, der einen Gitarrenkoffer trug, früher oder später in der Keibelstraße“, so Kay, Ort des Ost-Berliner Untersuchungsgefängnisses, wo die Volkspolizei Mann und Koffer genauestens inspizierte. Lutters Band Freygang wurde übrigens sogar einmal von der Bühne herab verhaftet und abtransportiert.
Wie alles anfing...
Die Idee zu einer Historienrockband wie In Extremo stammte von Micha Rhein. In den wilden Jahren direkt nach der Wende verdiente er als Gaukler nicht schlecht auf Mittelaltermärkten. Hier traf er Spielmänner wie etwa Marco und andere, die uraltes Liedgut ausgegraben hatten. „Da bekam ich die Idee, alte Lieder und Texte mit Rock zu kombinieren“, sagt Rhein. Auch der Name In Extremo (lateinisch für „zu guter letzt“ und „in Vollendung“) stammt vom Mann mit dem Raspelbass. Im Frühjahr 1996 kam es zur ersten Aufnahme-Session, während der das legendäre „Ai Vis Lo Lop“ neu interpretiert wurde. Anfangs bestanden In Extremo aus einer Mittelalter- und einer Rock-Fraktion, die sowohl zusammen als auch getrennt auftraten. 1997 entstand die Akustik-CD „In Extremo“ sowie die Maxi „Der Galgen“, auf der beide Fraktionen zusammen rockten.
Das erste In Extremo-Rockkonzert fand am 29.3.1997 vor tausend Leuten auf dem Leipziger Rathausmarkt statt. Damals trugen die Mitglieder silberne Kosmonautenanzüge, bescheidener Anfang einer Show, die immer spektakulärer und aufwändiger wurde und inzwischen fester Bestandteil ihrer Tourneen ist. Ein Jahr später folgte die zweite Akustik-CD „Hameln“ und das erste Rockalbum „Weckt die Toten“, ein Weckruf auch für die Medien, der Mengenweise kontroverser Reaktionen provozierte. „Verehrt und Angespien“ (1999) erreichte bereits Platz 11 der deutschen Charts, „Sünder ohne Zügel“ (2001) stieg auf Platz 10 ein. 2003 erschien „7“, das sich auf 3 platzieren konnte und später mit Gold ausgezeichnet wurde. Das achte Album „Mein rasend Herz“ (2005) erreichte aufs Neue Platz 3, außerdem wurde ihre DVD „Raue Spree“ (2006, Platz 4) ebenfalls mit Gold prämiert.
Zurück in die Zukunft
Am Ende darf eines nicht vergessen werden: die Basis all dieser eindrucksvollen Erfolge ist eine dicke Freundschaft. Nur weil sie Freunde sind, konnten die modernen Spielmänner Schicksalsschläge wie schwere Krankheiten und tragische Unfälle überwinden. Immer hielten In Extremo zusammen, stets fanden sie eine Lösung. „Für mich war von Anfang an klar, ich will mit Freunden in einer Band sein“, betont Micha Rhein. Und Kay Lutter fügt hinzu: „Jeder macht seinen Job, wir ziehen alle am gleichen Strang.“ Eine Freundschaft wie diese ist durch nichts zu erschüttern, nicht einmal durch den heftigsten „Sängerkrieg“.
In Extremo:
Das Letzte Einhorn – Gesang
Der Lange – Gitarre
Der Morgenstern – Schlagzeug
Die Lutter – Bass
Dr. Pymonte – Sackpfeife & Harfe
Flex der Biegsame – Sackpfeife & Drehleier
Yellow Pfeiffer – Sackpfeife & Nyckelharpa
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