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Deichkind | Freitag 05/12 2008 20.00 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: ausverkauft! |
In einer vernaddelten Welt, in der Menschen Drogen nehmen müssen, um in ihrem Job
funktionieren zu können, sind DEICHKIND die Retter vor dem großen Stumpf. Der
Prostitution, die sich durch alle Schichten unserer Gesellschaft zieht, vom Politiker bis
zur TV-Nutte und ihren Zuhältern, setzen die Hamburger Hymnen der Dysfunktion und
des eigenen Versagens entgegen. Nichts bringt das deutlicher auf den Punkt als der Titel
ihres vierten Albums, “Arbeit nervt!”. Genau! Das wollten wir doch auch gerade sagen,
oder doch lieber nicht?
Aber es ist ein Teufelskreis: Weil DEICHKIND diesen dreckigen Job mit ganzem Herz
erledigen und dabei jeden dunklen Winkel ihrer Unlust ausloten, funktioniert der
Nachfolger ihres Befreiungsschlages “Aufstand Im Schlaraffenland” umso besser. Denn
in ihrem gleichzeitig schlaffen wie hemmungslosen Hedonismus artikulieren sie zwar
triebhafte aber auch ebenso elementare wie universelle Erkenntnisse. Man kennt das,
man fühlt das. Und das ist mehr als man von 99% aller Popmusik erwarten darf.
Im Ursprung sind DEICHKIND HipHop wie er mal gedacht war: Als ein
Abenteuerspielplatz für neue Ideen. Doch während HipHop nach einer erfüllten Ewigkeit
droht, im Siechtum zu verelenden, feiern DEICHKIND im zwölften Jahr ihres Bestehens
die Pubertät. Oft eine eher finstere Phase mit Pickeln, Hormonschüben und jede Menge
Teenage-Angst, das alles kann einem ganz schön das Leben versauen. Muss es aber
nicht. Man kann es auch wie DEICHKIND machen.
DEICHKIND stehen jetzt im vollen Saft, jederzeit bereit wie eine überdüngte junge
Weide auszugeilen und noch merkwürdigere Triebe auszubilden. Das gibt ihnen Schub,
was ihnen auch live in ihrer selten surrealen Mischung aus Show und Happening
anzusehen ist. Hier wird besonders deutlich, dass ihr Spaß in erster Linie dem Spaß
ihres Publikums dient, das scheint ohnehin selbstverständlich und abgemachte Sache.
Als vorgebliche Druffis haben sie aber darüber hinaus das seltene Geschick, diesen Spaß
wie in einer Tragikkomödie den eher dunklen Seiten des Lebens abzuringen. Motto:
Wenn schon besinnungslos, dann wenigstens mit Verstand und Sendungsbewusstsein.
Ihre explosive Mischung aus Verweigerungspolitik, Ausschweifung und kultiviertem
Losertum treibt auf “Arbeit nervt!” seltsamste Blüten. Neben einem zwingenden Appell
an die Trinker-Solidarität findet sich ein nahezu unheimlich schwereloses Liebeslied, das
DEICHKIND noch in ungeahnte Höhen katapultieren sollte. Hier und da macht sich auch
schon das vor kurzem zur Band gestoßene Goldlöckchen FERRIS bemerkbar; der
ehemalige König aller Druffis ist inzwischen cleaner als die Heilsarmee, rappt aber mit
derselben Wolfes-Stimme wie eh und je. Weil DEICHKIND nichts so sehr hassen wie
Kollabo-Hustler haben sie ihn gleich einverleibt. Das macht sie nur noch stärker.
An einer Stelle auf “Arbeit nervt!” loopen DEICHKIND einen Beat des in Ungnade
gefallenen Königs des Glam-Rocks, Gary Glitter und behaupten trotzig im Refrain:
“Unzufrieden, faul und fett? Es geht mir gut dabei!”
Gekrönt wird das ganze von einem gehässigen: “Nana-nana-nanahh!”
Dasselbe Geräusch machen Kinder, wenn sie den Erwachsenen einen Streich spielen.
Etwas später im selben Song, einem von mehreren kapitalen Hits:
“Ich feuere keine Hits mehr raus und ruhe mich auf meinen Lorbeeren aus!”
Nun sollte auch der letzte merken, dass hier weder Ironie noch Koketterie weiterhelfen.
Es geht um viel mehr. DEICHKIND leben das Tao der Gosse: Nichts ist gut, nichts ist
schlecht, alles ist. Darauf ein Pils!
Lars Brinkmann
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