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Erasure | Montag 01/10 2007 20.30 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: 31,80 € |
Wer außer Erasure würde sich ausgerechnet in einem Cottage in den Wäldern von Mid-Coast
Maine verkriechen, umgeben von Ozean, Bäumen und Bergen, um an einem der
computerlastigsten, entschieden modernsten Alben ihrer Karriere zu basteln? In einer Umgebung,
die vermutlich besser zur Entstehung ihres letztjährigen, von der Kritik hoch gelobten, akustischen
Union Street-Projekts gepasst hätte, konzentrierten sich Vince Clarke, Andy Bell und Produzent
Gareth Jones (Depeche Mode, Wire, Clinic, Nick Cave and the Bad Seeds) im letzten Herbst
sechs Wochen lang auf die Aufnahme der Songs ihrer neuer CD „Light At The End Of The World“,
die am 18. Mai bei EMI Music Germany (mute) erscheint. Als jüngstes Produkt einer bislang
unglaublich fruchtbaren und produktiven Schaffensperiode beweist Light At The End Of The
World, dass Erasures kreative Vitalität, musikalischer Einfluss und kulturelle Relevanz nach bisher
über zwanzig Jahren und zwanzig Millionen verkaufter Alben schon wieder auf den nächsten
Höhepunkt zusteuern.
Angekündigt durch die gnadenlos rasante Single ‚I Could Fall In Love With You’, hat der
Songwriting-Prozess des aus zehn Stücken bestehenden Light At The End Of The World auf
unerwartete Weise von dieser ländlichen Umgebung profitiert. Bells neue Texte zählen zu den
persönlichsten und intensivsten seiner bisherigen Laufbahn - tiefgehende Meditationen über Liebe,
Verlust, Bedauern, Hoffnung und Neuanfang. Selbst in ruhigeren Momenten wie ‚Darlene’ und
‚Glass Angel’ durchweg spannend und dramatisch, erhebt sich seine Stimme in praktisch jeder
Strophe und jedem Refrain - von denen übrigens viele trotz der Hightech-Software, die bei ihrer
Umsetzung verwendet wurde, überraschend traditionell arrangiert sind - über Clarkes pulsierende
und unwiderstehlich melodische Synthesizer.
Die Entstehung von Light At The End Of The World ging ausgesprochen diszipliniert vonstatten
und begann wie immer via Internet, als Clarke und Bell sich daran machten, ihre Ideen per E-Mail
auszutauschen, setzte sich über zwei Songwriting-Sessions in Maine fort und endete damit, dass
Bell im Studio seine Texte schrieb und überarbeitete, während die Tracks täglich von Clarke und
Jones zusammengebastelt wurden. Im Privatleben der beiden hatte sich einiges verändert - Clarke
war inzwischen verheiratet, Vater eines kleinen Sohnes und lebte in Maine, während Bell eine
schmerzhafte Trennung nach einer fast zwei Jahrzehnte währenden Beziehung überstanden hatte.
Dennoch blieb der Songwriting-Prozess, der ihnen bereits über dreißig Top 40-Singles und elf
Top 20-Alben beschert hatte, unverändert. Vince erklärt das so: „Wenn es an die Aufnahmen zu
jedem unserer bisherigen Alben ging, setzten Andy und ich uns mit einem Mikrokassettenrekorder
in einem Raum zusammen. Wenn wir diesen Raum betraten, gab es noch keine Melodien, gar
nichts, und das war das Erstaunliche daran. Ich spielte Gitarre oder Klavier - eine Akkordfolge, die
mir interessant erschien. Und Andy sang eine Melodie zu dieser Akkordfolge. So ging es dann etwa
vier Akkorde oder acht Takte lang weiter. Darauf folgte meistens eine melodische Idee mit einem
Akkordwechsel, noch ein kurzes Stück, und dann die nächste Akkordfolge. Es gab vier oder fünf
solcher Teile, die wir auf dem Recorder aufnahmen. Danach hörten wir uns alles noch einmal an,
suchten uns die Teile aus, die uns für den Refrain gefielen und setzten sie zusammen.“
Dieser Prozess ist bei ‚Sunday Girl’, dem ersten Song auf dem Album, deutlich herauszuhören: Die
Schlichtheit von Text und Melodie vermischen sich mit einem Wirbel von elektronischen Elementen
zu einem erstaunlichen Effekt. Angefangen mit einem besessenen, Geist-in-der-Maschine-artigen
Gesangspart, der den Track und im Grunde das ganze Album buchstäblich auf Touren bringt, bis
er sich zu einem ausgewachsenen, andersweltlichen Synth-Riff mit hookigem, Brill Buildingartigem
Refrain entwickelt, dreht und windet sich der Song und untermalt dramatisch die
musikalische und emotionale Reise, die sich im weiteren entwickelt. Dasselbe gilt übrigens auch
für ‚Sucker For Love’.
Andy meint dazu: „... einige der Stücke beginnen in einer tieferen Tonart als sie enden, und ‚Sucker
For Love’ ist eines davon. Es fing ziemlich tief und gospel-artig an, aber wenn wir an einem Song
arbeiten, ändern wir häufig die Tonart, damit er am Ende so spannend wie möglich klingt. Ich
glaube, im Grunde ist das bei ‚Sunday Girl’ ganz ähnlich - ein ziemlich rasanter Dance-Song, bei
dem man sich eigentlich gar nicht sicher ist, wo er überhaupt hingehört; dabei halte ich ihn für eine
der stärksten Nummern.“
Song für Song, vom hoffnungsvollen ‚Golden Heart’ bis hin zu dem bedauernden ‚Fly Away’,
passen sich die Stücke ganz wunderbar den emotionalen klanglichen Hintergründen an, die sich zu
Bells atemlosen, selbstbewussten Vocals heben und senken. Vielleicht fasst das vorletzte Stück
‚When A Lover Leaves You’ am besten den Geist des ganzen Albums zusammen: Während Bell
sich zwischen zwei Liebhabern hin- und hergerissen fühlt, sich nach dem einen sehnt und um den
anderen sorgt, mixt Clarke seine unwiderstehliche Synth-Pop-Samba, um den Schmerz zu lindern.
Ein typischer Fall von ‚dance away the heartache’, sozusagen. Klassisch Erasure.
Unbeeindruckt von ihrem ikonengleichen Status bei Chart-Toppern wie The Killers, Franz
Ferdinand und Madonna, haben Erasure inzwischen laut der ehrwürdigen Times keine geringeren
als Kraftwerk von ihrer Position als einflussreichster Act unter den zeitgenössischen Hitmachern
verdrängt. Ihre Reputation als eine der hundert erfolgreichsten Gruppen aller Zeiten haben sie an
der Studiotür abgegeben und sich daran gemacht, eines ihrer bis dato reifesten und dichtesten
Alben aufzunehmen. Und wie immer ist dabei eine jener seltenen Sammlungen entstanden, in der
Punk, Electronica und Disco weiterhin auf ganz natürlich Weise koexistieren.
Light At The End Of The World, das Simon & Garfunkel mindestens so viel verdankt wie seinen
elektronischen Vorfahren, ist so magisch wie sein Titel es vermuten lässt. Musikalisch und textlich
eine Momentaufnahme von Clarke und Bell in diesem ganz speziellen Augenblick, stolz auf ihr
Vermächtnis und bereit, Risiken einzugehen, sich als Künstler stetig weiterentwickelnd und doch
ihren elektronischen Wurzeln treu, begrüßen sie nach wie vor sämtliche Höhen und Tiefen des
Lebens mit einem Song auf den Lippen.
„Wir sind eine bizarre Mischung - was viele Leute nicht verstehen. Wir sind ziemlich britisch und
unverkennbar aus der Arbeiterklasse; Arbeiter, die gern einen guten Song im Pub hören.
Gleichzeitig sind wir reichlich exzentrisch. Wir sind die britische Version der Sparks, die Gilbert &
George des Electronic-Pop. Und wir spielen unser Spiel nach unseren Regeln. Dieses Album
beweist, dass unsere Art von Popmusik noch lange nicht tot ist“, verkündet Andy. „Es beweist,
dass wir es immer noch drauf haben, immer noch großartige Songs schreiben können“, bringt er
den zeitlosen Reiz Erasures auf den Punkt.
Im Frühsommer werden Erasure die Hits des neuen Albums sowie viele ihrer Song-Klassiker in den
USA auf einer ganz besonderen Tour präsentieren. Am 8. Juni startet in Las Vegas die erste „True
Colours Tour“ mit Erasure, Cyndi Lauper, Debbie Harry, Dresden Dolls, Misshapes und the Gossip.
Als Host steht Margaret Cho auf der Bühne. Im Verlauf der Tour werden in einigen Städten noch
Gastauftritte von z.B. Rufus Wainwright, the Indigo Girls und Rosie O’Donald erwartet. Ein Dollar
von jedem verkauften ticket geht als Spende an die „Human Rights Campaign“, die Projekte der
schwul/lesbischen, Bi- und Transgender Community unterstützt. Andy Bell freut sich schon sehr
auf die Tour: „Ich fühle mich in die Riege dieser Grand Dames aufgenommen, was mich natürlich
sehr freut und ehrt“, so Andy schmunzelnd.
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