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Archive | Dienstag 14/11 2006 20.30 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: 23,00 € |
Darius Keele – Pollard Berrier – Danny Griffiths
Sie gehören nicht zum großen Hype der 80s-Derivate und sie wurden nie als „das neue Ding“ bezeichnet, aber sie besitzen seit einigen Jahren Ausnahmestatus in der Musikwelt und der Alternativ-Szene. Das Gebiet von ARCHIVE sind komplexe Strukturen mit progressiven Anleihen, weite Klanglandschaften auf schwer gleitendem, rhythmischen Fundament und ein Hang zu Melodien, die den Zuhörer mit ihrer Intensität auch schon mal in den emotionalen Würgegriff nehmen. Wenn man ein ARCHIVE-Album durchgehört hat, dann hat man eine Reise hinter sich, die an den Kern des eigenen Ich führt, einen Sightseeing-Trip an alle Abgründe und Höhepunkte der eigenen Seele. Das ist auch bei ihrem fünften Studio-Album nicht viel anders, auch wenn der Titel mehr Licht verspricht: Lights.
Um es gleich vorweg zunehmen: Die erste Single, ist Track 4: System. Und der Song beschreibt recht gut, warum Lights seinen Titel zu Recht trägt, denn auf dem Album gehen ARCHIVE die Popsongs lockerer von der Hand denn je zuvor. Man lasse nur den Opener Sane auf sich wirken: er wirkt, als hätten New Order eine Frischzellenkur verpasst bekommen und ein bißchen Schmirgelpapier gefuttert. Ebenso Sit Back Down: so groovy und auf dem Punkt konnte man die Südlondoner bisher nur selten erleben. Selbst die ganz stillen Songs wie die Pianoballade Fold wirken lichter als erwartet, und ein Song wie Veins lächelt einen ja geradezu an. Aber wo Licht ist, ist eben auch Schatten und wenn man beim Titelsong Lights angekommen ist, dann wird es Zeit, sich zurückzulehnen und willig auf einen 18 Minuten langen Trip zu gehen, der dem analytischen Verstand die Zügel aus der Hand nimmt.
„Man könnte sagen, Lights ist auf seine Art ein Pop-Album,“ überlegt Danny Griffiths. „Wir schreiben nicht oft Dreieinhalb-Minuten-Songs. Aber dieses Mal war es genau das Richtige. Aber es schließlich geht es auch darum, von etwas, das wie ein totaler ‚Rock’n’Roll’-Song klingt, zu einem Track zu kommen, der fast 19 Minuten hat und genau das Gegenteil ist. Und dann haben wir wieder 2-Minuten-Nummern, die nach John Carpenter oder Scarface klingen und eine kinematische Anmutung haben...“
Definitiv neu bei ARCHIVE ist Pollard Berrier, ein amerikanischer Sänger, der seit einigen Jahren in Österreich lebt und Mitglied der innovativen Formation Bauchklang ist. Seine feinfühlige und beinah kristalline Stimme wurde zum perfekten Bestandteil des Kollektivs und repräsentiert perfekt die neue Nuance, die ARCHIVE mit Lights erproben wollen. „Nach der Düsterkeit von Noise war es gut, etwas anderes zu tun, etwas positiveres, daher der Titel Lights. Pollard hat es sofort verstanden und brachte etwas sehr Reines und fast Klaustrophobisches dazu, das aber gleichzeitig sehr offen und leuchtend wirkt,“ so Danny.
Der Neuzugang war ebenso glücklich gewählt wie notwendig. 2005 verließ Craig Walker die Band und brachte Darius Keeler und Danny Griffiths dazu, den nächsten kreativen Schritt zu tun. Letztlich durchziehen Veränderung und Weiterentwicklung die Geschichte ARCHIVEs. Begannen sie 1996 mit dem warmen, und noch stark TripHop-beeinflussten Album Londinium, das die Sängerin Roya featurete, legten sie 1999 mit Sängerin Suzanne Wooder das opulent-sinfonische Take My Head vor. Erst mit dem Zugang von Craig Walker und dem 2001er Album You All Look The Same To Me erreichten ARCHIVE eine gewisse Stabilität und formulierten ihren heute gültigen Sound aus. 2004 erschien dann der Markstein Noise, bevor im Herbst desselben Jahres das ungemein intensive Live-Album Unplugged kam.
Dementsprechend bereitete der Verlust Craigs dann zunächst ein bißchen Sorge: „Wir kamen ein bißchen ins Stolpern, als Craig ging. Aus dieser Perspektive schien uns Lights wie die letzte Möglichkeit ARCHIVE zu retten, und dass wir Pollard fanden, war wirklich ein Geschenk des Himmels. Bei ARCHIVE ging es immer vor allem um die Musik, um das was wir tun. Mit Pollard sind wir wieder ein Kollektiv, so wie es war, als wir anfingen.“
Lights wurde im Londoner Hauptquartier aufgenommen, im Clapham ‚Southside’-Studio, und in Paris von Jérome Devoise in Paris, ARCHIVEs zweiter Heimatstadt, gemischt. Lights beschreibt auf seine Art alle Richtungen ARCHIVEs und bahnt sich musikalisch den Weg von Pop über TripHop, Psychedelia und kinematographische Übergängen, nahezu barocke Einschübe und ausgeprägtes Rockfeeling.
Inhaltlich geht es auf Lights um die westliche Welt als soziale Struktur. „Lights kein politisches Album, aber sehr von sozialen Gegebenheiten geprägt. Es geht darum, wie die Leute sich benehmen und was aus ihnen wird. Alle von uns! Unsere Schuld, die darin liegt, dass wir auf eine gewisse Weise eindimensional werden. Ein unzynischer Blick auf den Zynismus, der uns umgibt. Die westliche Welt wird immer verrückter. Es gibt so viele Kämpfe in dieser Welt, um alles und jedes, Kultur, Politik, Religion und aus den Fugen geratenes Konsumverhalten. Aber es ist eine sehr interessante Zeit, um Musik zu machen.“
© WMGG/tbe
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