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BELA B. y los Helmstedt + The Traceelords | Freitag 01/09 2006 20.00 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: 20,90 € |
Bingo!
(Das erste Solo-Album von Spandaus größtem lebenden Rockstar aller Zeiten)
Wenn Bela B., Schlagzeuger, Sänger und Songwriter bei Die Ärzte, an die sechziger Jahre denkt, fällt ihm als Erstes nicht Liverpool, sondern Las Vegas ein. Denn dort kam er im MGM Grand Hotel und Casino als Dirk Felsenheimer zur Welt. Nach einem blutentleerenden Erlebnis mit dem ersten Dracula-Darsteller des Tonfilms – dem großen Bela Lugosi – erlaubte ihm dieser, den Namen Bela auch fortan in Ehren und Respekt zu tragen.
Der weitere Verlauf seiner Karriere ist dem Musikenthusiasten größtenteils geläufig. Doch selbst heute, fast ein Vierteljahrhundert nach Gründung der Besten Band der Welt, schwärmt Bela B. noch immer von der glamourösen Düsternis seiner Geburtstätte, die ihn davor bewahrte, Polizist zu werden, und die sich nun wie ein roter Faden durch sein erstes Solo-Album zieht, das am 12. Mai erscheint.
Die Idee dazu hatte er bereits vor ein paar Jahren, als er mit dem Gitarristen von Marianne Rosenberg, Odin Awesome Olsenstolz Involtini, dem ebenfalls ausgezeichnet Gitarre spielenden Engländer Wayne Fish & Chips Jackson und der zauberhaft schüchternen Sängerin Lula den Song “Justified & Ancient” für einen KLF-Tribute-Sampler aufnahm.
Nach mehr als gründlicher Abwägung der Vor- und Nachteile entschloss er sich im Herbst 2005, die Arbeit an seinem Solo-Album – mit ebendiesem Team – aufzunehmen.
Die teils allein, teils fast allein getexteten und komponierten Songs wurden in liebevoller Kleinstarbeit zu Band gebracht (und dann digitalisiert). Zuerst die Schlagzeug-Parts, dann, nach einer Pause, die Gitarren, und später, nach einer erneuten Pause, der Gesang, dann noch mal Gitarren und Schlagzeug und Gitarren, Geigen, Bass (Ex-Mad Sin-Stand-up-Psycho-Bass Holly H.), Orgeln, Geigen und so weiter, bis alles fertig war.
Sein Produzententeam lernte ihn schnell als den “Humanboss” kennen und lieben und wurde nicht müde, um seine Aufmerksamkeit zu buhlen. Sie sollten dies natürlich nicht umsonst tun: In einem “Mitarbeiter des Tages”-Rahmen rotierten die Porträts der anwesenden Protagonisten, die Bela auf diese Art angemessen und gerecht belohnte. Im Studio herrschte eine entsprechend kreative Energie, die für einige Besonderheiten auf dem Album verantwortlich ist. So wurde beispielsweise für das Schlagzeug eigens ein Mikrofonierer aus dem Mutterland des Schlagzeugsounds, Schweden, hinzugezogen, der die ausschließlich dem Anfang des vorigen Jahrhunderts entstammenden Schlagzeugkessel adäquat abnahm. Selbstverständlich schwang kein anderer als der Künstler selbst die Schlagprügel. Und sogar an die Gitarrensaiten ließ er kaum einen anderen als sich selbst … und Olsen und Wayne und bei zwei Songs den fabelhaften Gary Schmalzl. Für die kongenial arrangierten Streicher wurde, wie schon beim Schlagzeugsound, ein Skandinavier, der Italiener Davidé Rossi, um Unterstützung gebeten.
Und für das Duett “Lee Hazlewood und das erste Lied des Tages” stieg die 76-jährige Legende höchstpersönlich in ein Flugzeug und legte die Strecke Las Vegas – Berlin – Las Vegas zurück, um einen unvergesslich tiefen Eindruck zu hinterlassen. Bela verehrte Hazlewood, bei dem einst Phil Spector in die Schule ging, bereits, als Punk noch ein Four-Letter-Word war.
Doch dies ist nicht das einzige Duett auf dem Album. Den extrem tanzbaren GoGo-Beat-Song “1. 2. 3. …” singt er zusammen mit Charlotte Roche, deren Viva-Sendung “Fast Forward” er einst als Schwangerschaftsvertretung moderiert hatte.
Entstanden ist ein sehr persönliches Album, das die musikalischen Leidenschaften des Bela B. in gekonnter Weise auf einen Nenner bringt, bei dem er mutig sein Innerstes nach außen kehrte, alles wieder aufwischte und den triefenden Beutel schließlich stolz zu BPX1992, der von Fitz Braum extra für ihn gegründeten Plattenfirma, trug.
“BINGO!”
Bevor es im September auf Tournee geht, werden Bela B. y Los Helmstedt, so der Name seiner Live-Band, bei Rock am Ring und auf anderen Festivals auftreten. Am Schlagzeug lässt er sich dann von seinem Freund Danny Young (Ex-Gluecifer) vertreten, damit er selbst die Rampensau geben kann. Das erwartet man schließlich von jemandem, der sich Bela nennt: “Wenn du auf Las Vegas machst, musst du auch mit weißen Tigern auf die Bühne, so ist das nun mal.” Rooooaaaaarrrrr!!!!
Ein schlauer Mensch hat einmal gesagt: Musiker wird man nicht, man ist es. Würde man die Mitglieder der Traceelords getrennt voneinander nach ihrer Motivation befragen, man bekäme übereinstimmende Antworten und hätte hinterher das Gefühl, eine vierköpfige Familie um die Gründe für ihre Existenzberechtigung und Funktionsfähigkeit gebeten zu haben. Denn eigentlich ist eine Rockband nichts anderes als eine Familie; wie man aus der Geschichte weiß, geben sich manche von ihnen sogar denselben Nachnamen.
The Traceelords haben das nicht nötig, sie sind Brüder im Geiste. Und weil Hagen nicht nur außerhalb Nordrhein-Westfalens noch als Teil des Ruhrgebiets durchgeht, weiß das Quartett von Geburt an, wie man Bodenständigkeit und Zusammenhalt buchstabiert. Anders wäre es auch nicht zu erklären, dass ihr drittes Album ausgerechnet den Titel “The Ali Of Rock” trägt. Immer wieder aufstehen...
The Traceelords haben ihre Erfahrungen gemacht. Natürlich nicht nur positive. Viel gelernt hat man aus Tourneen und Konzerten mit Whitesnake, Alice Cooper, J.B.O. und Dirty Americans, genauso geärgert hat man sich u.a. über die in Deutschland weit verbreitete Meinung, solider Rock’n’Roll dürfe eigentlich nur aus Übersee kommen. Oder vielleicht noch aus Skandinavien. Aber aus Hagen? Und dann noch mit einem ehemaligen Gitarristen der Ruhrpott-Thrash-Legende Sodom?
“The Ali Of Rock” vervollständigt eine Trilogie: Auf ihrem Debüt “Sex, Money, Rock’n’Roll!” (2001) vertonten The Traceelords den Albumtitel, scheuten sich aber auch keine Experimente (“Daddy Cool”); die sich auf “Refuse To Kiss Ass” (2004) fortsetzten: die Haare kürzer, aber Songs und Texte konsequenter (“People My Age”).
Das Jahr 2006, Album Nummer 3: wieder selbst geschrieben, selbst produziert und mit dem Gitarristen Christof Leim ein neues Familienmitglied an Bord. Wie es klingt? Die Zeit der Experimente ist nicht vorbei, im Gegenteil. Auf dem Erstling hieß es noch “Fucking Grow Up”, ein halbes Jahrzehnt später ist das Motto “Room For Improvement”. Aber keine Angst!The Traceelords machen aus ihrem Herzen keine Mördergrube, Spaß und Unterhaltung stehen immer noch im Vordergrund, schließlich ist der Bandname immer noch derselbe. Der Unterton ist weder melancholisch noch melodramatisch, denn die besten Geschichten schreibt das Leben selbst, der Opener “My Evil Girlfriend” muss nicht extra interpretiert werden, schon nach einmaligem Hören versteht man, warum The Traceelords eine Rockband sind, die von der ersten Sekunde an zu fesseln versteht.
Geradeaus, packend, und so gar nicht typisch deutsch rocken, rollen, stampfen und streicheln sie durch eine Platte, die mehr Höhen und Tiefen vorzuweisen hat als ihre Vorgänger. Liegt es am Alter der Band und seiner Mitglieder, am gewachsenen Selbstbewusstsein durch die vielen erfolgreichen Tourneen, simpel gesagt an der logischen musikalischen Evolution? Wahrscheinlich ist es vieles von allem.
Es sind übrigens die Zwischentöne dieses Albums, die aufhorchen lassen, es aber gleichzeitig abrunden: Bassist Slick übernimmt, wie auch manchmal auf der Bühne, bei zwei Songs (“Sliver Lining”, “Watch Me Run”) das Mikro von Sänger/Gitarrist Andy Brings, Schlagzeuger Haan Hartmanns Können beschränkt sich nicht nur auf den simplen 4/4-Takt...
Vierzehn Songs, eine Philosophie: Wir lassen uns nicht unterkriegen. Die Widrigkeiten des Lebens sind dazu da, um überwunden zu werden. Böse, wer jetzt laut ‘Phrase’ und/oder ‘Klischee’ schreit. Denn: Am Ende ist die Wiederholung die einzige Konstante im Leben. The Traceelords sind konstant. Und konsequent. Diese Mischung findet man nicht oft. Genauso selten ist es übrigens, dass sich die vier richtigen Musiker finden. Eine Band wird man nicht, man ist eine...
Jörg Staude (Visions/Galore)
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