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Soulfly | Mittwoch 19/07 2006 20.30 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: 23,90 € |
Schweisstropfen, die in Rinnsalen den Rücken hinunterströmen. Brennende Wut, unkontrolliert ausgespuckt, um die unerträglichen Schmerzen in den Eingeweiden zu kanalisieren. Wenn die Seele trauert, bleibt kein Platz für erquickende Ruhe. So heisst es zumindest.
Doch wo rasender Zorn über die unvermeidbaren Widrigkeiten des Lebens und die Gesetze der Natur kollidieren, residiert “Dark Ages”.
Mastermind Max Cavalera, Anführer der innovativen Metal-Krieger von Soulfly und Gründer der renommierten Sepultura, kehrt mit dem wohl eindringlichsten, heaviesten Werk in seinem bisherigen Schaffen von Soulfly zurück: „Dark Ages“ kombiniert eine ungefilterte, wiederentdeckte Old-School-Aggressivität mit einnehmend experimentellen Ausflügen in die unterschiedlichsten Stilrichtungen und Kulturen. Gerade diese mutige Herangehensweise ohne jegliche erkennbare Scheu über den Tellerrand zu blicken, macht die Musik von Soulfly seit mittlerweile fünf Alben aus:
Bewaffnete sich Mr. Cavalera zwar mit derselben Band, wie auch schon zu der letztjährigen Veröffentlichung „Prophecy“ (Gitarrist Marc Rizzo, Drummer Joe Nunez, Bassisten Bobby Burns und Dave Ellefson), so hält er trotzdem seine Tradition aufrecht, diverse Gastmusiker auf seine Alben einzuladen. Und somit immer wieder musikalische Grenzen einzureissen. Wie auch schon bei den beiden Vorgängeralben hat auch auf „Dark Ages“ der Meister selbst als Produzent fungiert und das Mischen Terry Date (u.a. Deftones, Pantera etc.) überlassen. Und auf den Reisen durch verschiedene Länder (Türkei, Serbien, Russland und Frankreich) wurden die unterschiedlichsten Kulturen eingefangen. So nahm aber dieses Mal Max Cavalera nicht nur mit ausländischen Künstlern auf, sondern versuchte ebenso ungewöhnliche und landestypische Geräusche aufzufangen und in den Soundteppich einzuweben. Istanbuls Klangspektren konnten beispielsweise für den Track „Bleak“ verwendet werden:
“Constantinople was the center of Christianity one thousand years ago and I found it to be really exotic,” so Max. “I wanted to add some flavor of that part of the world on an album called ‘Dark Ages’.” So konnte man innerhalb der wohl berühmtesten – ursprünglich christlichen - Kirche Istanbuls, der Hagia Sophia, industrielle Klänge aufnehmen, welche nun in dem Outro zu hören sind. “It’s actually people working, they’re banging metal on metal.”
Das kulturelle Pfeffer Europas und Asiens, dessen amerikanische Musiker sich höchst selten zu bedienen wissen, gibt beispielsweise auch dem stürmischen Song “Molotov” seine Würze: Denn der Track beginnt mit russischen Textzeilen. “In Russian it means ‘Fuck the war, let’s think about what’s important’ . . . It comes from the liberation of Russia after communism.”, erklärt Max.
Neben dem multikulturellen Ansatz werden ebenso mühelos musikalische Bögen zu anderen Musik-Stilen wie dem Hardcore gespannt: S.O.D.’s Billy Milano tritt beispielsweise bei einem Song auf. Cavalera rief dazu bei Milano an und da man sich nicht zeitlich auf ein Treffen einigen konnte, war sein Vorschlag ebenso pragmatisch wie schnell umsetzbar: “Do you mind singing over the phone and I just record it?“ So kam es, dass die Verzerrung auf Billy´s Stimme direkt durch das Telefon entstand und nicht etwa durch technisch aufwendige Bearbeitung.
Die ungewohnt kompromisslose Explosivität und rauhe Grundstimmung von „Dark Ages“ ist aus gutem Grund fast schon körperlich greifbar: Während des kompositorischen Prozesses hat Cavalera den Tod zweier ihm nahestehender Personen verkraften müssen: nicht nur sein vergöttertes Enkelkind Moses starb unerwartet, sondern auch sein langjähriger Freund Dimebag Darrell wurde aus dem Leben gerissen.
“I think one of the reasons it’s called ‘Dark Ages’ is it’s also somehow personal dark ages . . . at the end of December [2004] when we were making the record, with losing Moses and Dimebag, it was a very dark month – it was a dark way to end the year,” so Max.
Lebenseinschnitte dieser Art werfen lange Schatten. Und genau jene Verzweiflung über das Unabwendbare, der Versuch die Gesetze der Natur zu verstehen und dennoch nicht gutheißen zu können, löst sich manchmal in ruhigen Momenten zu einer unerwarteten inneren Entspannung auf.
Wie ein Damm, der kurz davor ist zu brechen, prangert „Dark Ages“ den Schmerz, den Verlust und die Trauer an. Um im nächsten Moment den ewigen Kreislauf der Existenz endlich zu erkennen und Frieden zu finden. Momente voller Schönheit und Brutalität zugleich: “Nature on one hand is beautiful, peaceful; on the other hand it’s lethal and ruthless as we see in tsunamis and things like that . . . Soulfly records are a bit like that: one side of it is very peaceful, very positive, very spiritual. And the other side is very apocalyptic, dark, even self destructive . . . I embrace the extremes.”
Gegensätze jeglicher Art, die sich eigentlich nicht vertragen sollten, aber dennoch in der richtigen Mixtur unerwartet stimmig zusammen zu gehören scheinen, haben Max Cavalera schon immer angezogen: “It’s unorthodox metal… I’ve been metal my whole life from when I started Sepultura, but it’s a different kind of metal. I’m actually trying to create something new and trying to be a kind of scientist, like a metal scientist – fuse these things that normally would not fuse and see what happens when you combine them together. I love fast music, aggressive. I love metal, hardcore, and I love to combine them with other things. That’s really my passion, making metal different somehow.”
Inmitten der allumfassenden Wut liegen denn auch Tracks voller Hoffnung und fungieren somit als Ruhespender zwischen den wuchtigen Wogen. „Inner Spirit“ (bei dem der Sänger der serbischen Band Eyesburn, namens Coyote eingeladen wurde) wird von „Corrosion Creeps“ gefolgt, „Fuel The Hate“ wird flankiert von „Stay Strong“. Das Ziehen und Zerren der Dualitäten machen den Reiz von „Dark Ages“ aus. Und die persönlichsten Inhalte werden von einem Familienangehörigen ehrlich transportiert: “My son Richie sings on ‘Stay Strong.’ I’m really proud of him ‘cause he sings his own lyrics and he’s really singing his heart out for Moses and for his brother Dana.”, so Max.
Als begabter Einzelgänger spricht nichts dagegen, einen respektvollen Gruß an für Max ebenso interessante Musiker wie Prodigy zu richten und ihrer Stilrichtung in dem Industrial-Song „Riotstarter“ zu huldigen. Ebenso müssen liebgewonnene Traditionen bei aller überbrodelnden Gefühlswelt aufrecht gehalten werden und daher findet sich ein selbstbetiteltes Stück auch auf diesem, dem fünften Album: „Soulfly V.“ wurde in Kooperation mit dem brasilianisch-französischen Musiker Stephan komponiert und lässt das Album zu einem friedlichen Ende kommen. Mr. Cavalera sieht den Spannungsbogen denn auch wie folgt: “[After] going through the bad and the good and the rough, but in the end into this spiritual cleansing . . . it’s kind of like the calm after the storm.”
Soulfly provoziert. Metal für die Wagemutigen. “Dark Ages“ fällt den Hörer ebenso einer wilden Bestie gleich an, wie es den Geist sich zurücklehnen und beruhigen lässt. Doch wenn es eine Botschaft zwischen all den eruptiven, musikalischen Vulkanausbrüchen geben kann, dann die, dass innere Ruhe auch in den dunkelsten Momenten existieren kann.
Das Charisma und die Lebenserfahrung eines gereiften Musikers und Menschen, in mutiger, ehrlicher Weise in Töne gegossen.
Kurz: ein Meisterwerk.
Soulfly sind:
Max Cavalera - Vocals, Guitar
Marc Rizzo - Guitar
Bobby Burns - Bass
Joe Nunez - Drums
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