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Element of Crime + Home of the Lame | Mittwoch 22/03 2006 20.30 h Bielefeld, Ringlokschuppen
| vvk: 26,10 € |
Nehmen wir ein Stück Streuselkuchen. Apfelkuchen etwa, gedeckt, auf keinen Fall mit Zuckerglasur. Betrachten wir die Brösel auf diesem Stück Kuchen, diese vielen einzelnen Teigkügelchen und –bröckchen, die obendrauf nun ineinandergebacken sind.
Exakt so sähe die Musik von Element of Crime aus, wäre sie zu malen. Und das immer. Rauher Pointilismus, gemacht aus Erdigem, aus Teig. Die Musik von Element of Crime besteht aus vielen dieser Soundbrösel; Gitarre, Bass und Schlagzeug, und was bei anderen zu Rock würde, ist bei Element of Crime stets zu einer Art folkigen Rock vergoren, hohe Ballhauskultur, die sich aber für ihr Popdasein nicht im geringsten schämt, im Gegenteil. Es verhält sich mit ihren Songs so, wie mit gedecktem Apfelkuchen mit Streuseln, ein Klassiker der Bäckereien, kein allzu aufwendiges, kein zu kompliziertes Konditorenmeisterstück, sondern schlichtweg gut und immer richtig.
Gutsein kommt von Können. Die Bandmitglieder sind allesamt sehr gute Musiker, die auch ohne weiteres aufwendige Muckerstücke machen könnten, doch sie machen es eben nicht. Zuviel des Guten ist nicht gut, wenn man an Klassikern arbeitet. Die Band, nach einigen Quintett- und Sextett-Ausflügen mittlerweile wieder zum Quartett geschrumpft, geht in ihr 20. Jahr. Man muss nicht immer alles erzählen, was man schon kennt, daher hier keine weiteren Worte darüber, dass John Cale die zweite LP der Band („Try To Be Mensch“) produzierte, dass man erst auf Englisch sang und dass es dann auf Deutsch genauso gut, dass Element of Crime 1987 zwei illegale Konzerte in der Zionskirche in Berlin-Ost gaben, als es noch die Länder Bundesrepublik und DDR gab, kein weiteres Wort darüber, dass sich die Platte „Damals hinterm Mond“ wohl auf immer und ewig in allerleuts Gedächtnis eingebrannt haben wird, dass diese Band, die sich einst die Hacken abtourte, nun etwas ruhiger geworden ist, und sich inzwischen vier Jahre Zeit lässt, bevor ein neues Album kommt.
Reden wir lieber noch mal über die Musik. Die Band ist in einem ruhigen Berliner Biergarten zu treffen, an einem ruhigen Sommertag, und redet bei Fassbrause und Bier über sich. Sven Regener etwa verkündet dem Rest der Band, dass er beim Mix in Nashville noch eine Gitarrenspur eingespielt habe. Nashville. Doch die anderen zucken nicht, klar, hat er halt noch mal eine Gitarre eingespielt. Man vertraut sich, kennt sich ja nun auch seit 20 Jahren. Richard Pappik erzählt, dass er immer weiß, wie ein Song klingen wird, wenn die anderen ihre Ideen hinzufügen, und das, obschon er sich vorher gerade nicht exakt ausdenkt, wie die anderen sich zu seinem Schlagzeug verhalten werden. Die anderen nicken, ergänzen das, so geht es zu in einer Band, die sich als Band begreift, die bis heute – wie nur ganz wenige andere Bands, die Stranglers etwa – ihre Songs als Band zeichnen, gemeinsam komponieren also, es gibt keinen Bandleader. Das ist Kommunismus im Kleinen, ohne Partei und Generalsekretär, das ist fair.
Sven Regener erläutert, was man schon ahnte: dass ein jeder Song, den sie covern, gewissermaßen ohne Absicht so klingen wird wie ein Element of Crime-Song, wenn der Song erst einmal auf diese Band gestoßen ist. Oder die Band auf den Song.
„Mittelpunkt der Welt“ heißt das neue Album. Zaphod Beeblebrox, Douglas Adams’ Romanfigur, wird in einem Adams-Roman gezwungen, in einer Maschine zu sitzen, in der man das ganze Universum sehen kann. Dann erscheint ein Pfeil, der erklärt, das ein winziger, winziger, winziger Punkt in diesem Universum Du bist. Ein winziges Nichts. Beeblebrox soll auf diese Weise bestraft werden, denn angesichts der Weite und der eigenen Bedeutungslosigkeit drehen alle Delinquenten, die in diese Maschine mussten, durch. Nicht so Beeblebrox. Er erkennt: „Ich bin der Mittelpunkt des Universums.“
An dieser schönen Geschichte ist zu lernen: der „Mittelpunkt der Welt“ kann auch in Delmenhorst liegen. Du selbst bist dieser Mittelpunkt für Dich, mit Dir hört für Dich die Welt auf. Das ist keine egozentrische oder gar egoistische Formel, das ist das Wissen um die Existenz. Davon handeln die Songs auf diesem Album, von der Paranoia, die einem lieb geworden ist, von den Neurose, die man pflegen will, von den Jugendabenteuern der anderen, der Geliebten, von Abenden, vom Winter, vom Himmel. Schöne Worte wie Dunkel, Hinterhof oder Straßenbahn fallen, sogar die richtig schöne Wortfügung: „richtig schön“. Auch die Texte sind fein getupft.
Dazu die Musik, die, wie gesagt bröselig ist, die sich auch ein bisschen von der Glasur befreit hat, die die letzten Alben mit sich brachten, hier wird nicht wild geoverdubt, die Streicher bleiben hinten, der Bläsersatz ist spröde wie beispielsweise bei Calexico – wenn es denn überhaupt ein Bläsersatz ist und nicht eine Solotrompete. Die Band klingt wieder rauer, mehr nach Band. Nie kann ein Album das Liveerlebnis ersetzen und nie live das Album nachgespielt werden – doch „Mittelpunkt der Welt“ ist wieder ein bisschen wackliger, lockerer produziert, kommt dem Live-Eindruck näher, dieses Album ist offener als seine beiden Vorgänger.
In Berlin gibt es eine ganze Menge Hinterhöfe, in Wedding oder in Neukölln gibt es sogar noch jene, von denen die alten Leute erzählen, Hinterhöfe, die sich nicht aufgepeppt haben und nicht gepflegt, die nicht auf romantisch gedrillt und nicht sauber frisiert sind, da bröckelt der Putz von einer Brandmauer, da bräuchten einige Fensterrahmen endlich mal wieder Farbe, da ist eine Scheibe blind, da sollten einige Balkone mal bepflanzt werden, und einige Menschen mal zu sich selbst kommen. In solche Hinterhöfe kann ein Song von Element of Crime einbrechen, mit seiner scheinbaren Ruhe und Abgeklärtheit, hinter der Nervosität lauert, seiner Sprödigkeit, seiner kratzigen Anmut. Er macht den Hinterhof sichtbar in seiner Echtheit und Schönheit. Der Song passt genau hierher, denn von hier geht er aus.
Es gab auf Hamburg St. Pauli mal die Achse der unbewussten Coolheit:
Max Schröder und Swen Meyer wohnten zusammen in der Talstrasse, Olli Schulz gegenüber und Thees
Uhlmann ein paar Schritte weiter in seinem 16 qm Reeperbahn Palast.
Max Schröder ist damals durch die sms „die neue Platte ist richtig bailando super! Aff aff, wenn ich mitmachen
soll, sag einfach Bescheid! Dein Bubumax!“ bei Tomte eingestiegen.
Das Üben mit Max dauerte 2 Std. Danach fragte ich ihn, ob er nicht jemanden kenne, der so Singer/Songwritingmäßig
unterwegs wäre! Wir würden so einen gerne einen für die Tomte Tour mitnehmen. Ja, er kenne da einen.
Der wäre nicht so gut drauf. Er wohnt in Malmö.
Nach einem 20 minütigen Anruf in Schweden war alles klar! Zwei Tage später wurde mein Handy zum letzten mal
abgeschalten und mein Mobilfunkanbieter hatte kein Interesse mehr, unsere Geschäftsbeziehung weiter fort zu
setzen. Aber es war auch klar, dass Felix „Home of the Lame“ Gebhard mit uns auf Tour fahren würde. Ein
gutes Geschäft.
Und dann stand er vor uns. Er sah wirklich aus wie die Mischung aus einem Schweden und einem kanadischem
Holzfäller irischer Abstammung. Und jeden Abend spielte er seine Lieder für uns, die nach der Hälfte der Tour
von Max Schröder und Olli Koch begleitet wurden, als wären sie schon seit immer zusammen in einer Band.
Und er bahnte sich seinen Weg! Durch die Musik, durch ein melancholisches Unverständnis der Welt gegenüber,
das aus all seinen Songs perlt.
Felix Gebhard hat sein Rock´n Roll Englisch perfektioniert und niemand singt hier mit einer besseren Aussprache
als er. Da blamiert man sich nicht wenn man ihn z.B. in den mittleren Westen der USA auf Tour schickt.
Und es war Mitte August und im nachhinein war es der letzte Tag, an dem die Luft einem nicht in sekundenschnelle
durch kühle Luftpartikel eine Idee vom herannahenden Herbst und Winter kündet, als Felix im Berliner
Kato mit Walter Schreifels auf der Bühne stand und man sehen konnte was Felix ist. Mit Cruz Records Cappy auf
dem Kopf und einem Mike Watt Bild feinsäuberlich auf die Gitarre geklebt. Seine Konzerte sind HÖR Konzerte!
Auf eine ganz bestimmte Art und Weise, schroff wie der Kalk aus dem Schweden aus dem Meer gehauen wurde!
Wenig später bekamen wir endlich das langersehnte Master seines ersten Albums, aufgenommen in einer
ehemaligen Schule in Uppåkra im schwedischen Mitten-im-Nirgendwo, zusammen mit seinen Freunden Carl
Granberg, Mats Bengtsson, Peter Andersson, David Carlsson, Johan Hansson und Clay Ketter.
Es gibt keinen Menschen der zur Zeit in Deutschland universellere Musik macht als „Home of the Lame“!
Es ist wie die Musik zu einem Gus Van Sant Film, der noch gedreht werden muss. Er wäre der Lieblingskünstler
von Neil Young, wenn er ihn kennen würde.
Flieg mein schöner rothaariger, schlechtgelaunter Vogel mit dem unschlagbaren Lächeln. Things are going to
happen that you would have never thought of.
Neulich saß ich mit Felix und Sara zusammen vor einem Falafelstand in Hamburg und wir unterhielten uns über
den größten Wunsch für das nächste Jahr! Er sagte: „Ich will unbedingt nächstes Jahr 150 Konzerte spielen.“ und
kurz danach zeigte er uns ein Foto von seinem Sofa, dass er immer in seinem Portemonnaie trägt. Home of the
lame halt. Es ist aber auch ein schönes Foto!
Und falls sie denken, den kenne ich doch irgendwoher: Ja, er ist auch Bassist bei der Hansen Band. Wenn ich
einem alles Gute wünsche, dann mir und dir, Felix!
Thees Uhlmann, Oktober 2005
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