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Element Of Crime

+ Tomte


Montag   18/03 2002   20:00 Uhr
Paderborn, Kulturwerkstatt
vvk: 17,50 EURO
abk: 20 EURO



Element Of Crime

www.elementofcrime.de
www.motormusic.de
www.koopmann-concerts.de

Es gibt Worte, die tragen die halbe Geschichte der Menschheit mit sich spazieren. Weil sie nicht einfach nur Worte sind, sondern Symbole für eine meist unerfüllte Sehnsucht. Heimat ist so ein Begriff, oder Sozialismus, von dem schon Lenin sagte, er sei das Einfache, das schwer zu machen ist. Und natürlich Romantik. Der Brockhaus bezeichnet damit den Hang zur Träumerei, die Bilder von Caspar David Friedrich, die Märchen der Gebrüder Grimm, Eichendorff. Gefühl und Weltschmerz. Ein wehmütiges Sehnen nach der Natur und den einfachen Dingen, entstanden in einer Zeit, als die Industrialisierung bereits ihre dunklen Schatten voraus warf. Doch das Schwierige an all diesen Begriffen: Jeder versteht darunter etwas anderes.

„Romantik" heißt auch das 10. Studioalbum von Element of Crime. Gefühlvoll und melancholisch waren die Lieder der Berliner Band ja schon immer. Gut beobachtet, treffend und manchmal auch von einem rauhen Charme. In 16 Jahren wurden Element of Crime mit Alben wie „Damals hinterm Mond" (1991), „Weißes Papier" (1993) oder „Psycho" (1999) zu Klassikern der deutschen Popmusik. Sie haben früher als andere Bands angefangen in ihrer Muttersprache zu singen, haben Chanson- und Vaudeville-Elemente in ihre Musik integriert, wurden der Liebe zum Schlager verdächtigt und sind dennoch im Herzen eine Rockband, die immer wieder überrascht. Diesmal mit einer rauhen Form von Schönheit und einer Platte, die glücklich macht.

Noch immer gehören zu Element of Crime Sven Regener (Gesang, Gitarre, Trompete, Tasteninstrumente), Jakob Ilja (Gitarre, Mandoline, Tasteninstrumente), Christian Hartje (Bass) und Richard Pappik (Schlagzeug, Mundharmonika). Und selbstverständlich hat auch diesmal wieder der alte Weggefährte David Young produziert und auch mitgespielt (Gitarre, Tasteninstrumente). Aufgenommen wurde im Berliner Tritonus Tonstudio in Berlin; einige Stücke entstanden im „Can-Studio" in Weilerswist, wo bereits das letzte Album „Psycho" aufgenommen wurde.

„Romantik" ist wahrscheinlich die konsequenteste aller Element-of-Crime-Platten, denn Liebeslieder waren schon immer die Stärke der Band. Und wenn Sänger und Texter Sven Regener „Liebeslieder" sagt und „Romantik", dann hat das nichts kitschig verlogenes. Weil die Band eine seltsam zeitlose Rockmusik spielt, die sich immer auf das Thema des Songs bezieht und dabei gerne Akzente setzt. Mal ist es das Akkordeon von Ekki Busch („Warte auf mich"), die Violine von Christian Komorowski („Wann kommt der Wind") oder gleich das komplette Filmorchester Babelsberg („Seit der Himmel", „Fallende Blätter"). Und wenn Regener, wie in „Die Hoffnung die du bringst", auf der Trompete eine seiner wunderbar sentimentalen Mariachi-Melodien spielt, dann möchte man flennen vor Glück, auch wegen des folgenden, herrlich lakonischen Refrains „Liebling, sag mir morgen früh noch mal, daß wir glücklich sind. Wer zu lange in die Sonne sieht wird blind."

Lebt der Mann etwa in einem Taumel der Gefühle, in einem Wechselbad von zärtlicher Leidenschaft und abgrundtiefer Verzweiflung, wie man es Dichtern gerne nachsagt? „Es gibt keinen wirklichen Zusammenhang zwischen dem Leben, das man lebt und dem Song, den man gerade schreibt", sagt Sven Regener. „Die Kunst sollte ja nach Ansicht vieler Leute der Wahrheit dienen, nicht der Schönheit. Das ist durchaus ehrenwert, aber solange mir niemand sagt, welcher Wahrheit diese Kunst dienen soll, halte ich mich lieber ans Schöne." Dabei ist doch so angenehm, sich vorzustellen, wie Regener nur noch hinterm Haus sitzt, in einem alten Liegestuhl. So wie in dem verliebten Lied „Seit der Himmel": Da sieht man ihn förmlich vor sich, wie er in einem grünen Hinterhof am Prenzlauer Berg herumhängt, der Herr Regener. Aus seinem Mund kommt Rauch und aus beiden Nasenlöchern auch. Mit einem breiten zufriedenen Grinsen im Gesicht gesteht er sich ein: „Bei mir geht überhaupt nichts mehr, weil sich alles um dich dreht, seit der Himmel jeden Morgen deine Augenfarbe trägt". Und dann schnappt er sich seine Trompete und spielt wieder eine dieser Melodien, wegen der vermutlich noch viele Häuserblocks entfernt gerührte Menschen zu ihren Taschentüchern greifen. Ja, das ist Romantik. Keine Schlagerromantik. Keine TV-Kitsch-Soap-Romantik. Keine Über-allen-Wipfeln-ist-Ruh -Romantik. Kein Scheiß eben. Es ist nur das, was wir alle brauchen – Schönheit im Alltag. Das kann eine blöde Einkaufstüte sein, die eine Viertelstunde lang besoffen im Wind tanzt, wie in dem Film „American Beauty". Oder eine Zeile wie: „Warte auf mich, draußen ist es zu dunkel für einen allein." („Warte auf mich")

Natürlich ist „Romantik" ein mißverständlicher Name für eine Platte, aber darauf lassen es Element of Crime ankommen: „Ich möchte auch nicht unbedingt, daß die Leute bei dem Titel an die romantischen Epochen denken, an Novalis und Caspar David Friedrich - die blaue Blume mit der Seele suchen und so". Statt dessen hat Sven Regener eine ganz andere Definition parat: „In einem Fanzine hat mal jemand geschrieben, es sei sein größter Traum gewesen, einmal eine ganze Nacht lang in einem Yellow Cab durch New York zu fahren. Doch jetzt, so schrieb er weiter, wolle er das nicht mehr, denn es gäbe ja die neue Platte von Element of Crime. Die würde er sich aufnehmen, in seinen Walkman legen und dann mit dem Mofa durch das Neubauviertel fahren, das wäre genauso toll. Das war das größte Kompliment, das wir jemals bekommen haben – das ist unser romantischer Ansatz." Es macht wenig Sinn, von Lottogewinnen zu träumen, von Märchenprinzen und Traumreisen, während das eine Leben, das wir haben, an uns vorbeirast. Die 10 Lieder von „Romantik" fördern die Einsicht, daß der Alltag auch sehr reizvoll sein kann, solange er bewußt wahrgenommen wird. So wie in „Alle vier Minuten". Da sitzt Regener schon wieder herum, diesmal vielleicht im Café Kloster am Schlesischen Tor, wo er eine Beziehung herstellt zwischen dem Takt der Berliner U-Bahn – die manchmal eine Hochbahn ist, aber eben nicht immer – und dem Rhythmus seiner Bierbestellungen. Daraus entwickelt sich eine hübsche Assoziationskette zum Thema vertrödelte Tage – „laß uns noch mal um die Häuser ziehen, schonungslos und ohne Hintersinn". Für Regener sind vertrödelte Tage ein ganz wichtiges Thema. „Daß man den Luxus Zeit vertrödelt, das ist als würde man Geldscheine verbrennen. Zeit vertrödeln, das ist ein verdammter Spaß, nein, das ist der größte Spaß."

In einer Zeit der schnellen Trends und Oberflächenreize ist diese Haltung fast schon ein Akt der Rebellion. Sicher, mit einem Durchschnittsalter von 40 träumt eine Band nicht mehr von einem Auftritt bei „Top Of The Pops". Da fällt es leicht, sich von einem so hoffnungslos überreizten Begriff wie „Cool" zu distanzieren. Element of Crime stehen ohnehin eher in der Tradition von Franz-Josef Degenhadt und Leonard Cohen: Es geht der Band weniger um „Sing when you are winning", als um die tragische Schönheit des Scheiterns, die Romantik des Losers. „Was ist so schlimm, mal zu verlieren?", plädiert Regener leidenschaftlich. „Nein, ein „Loser" darf man nicht sein, und niemand fragt, warum, das ist einfach so. Auch „uncool" darfst du nicht sein. Ich finde, die zur Zeit stattfindende Abnutzung dieser Begriffe gibt den Menschen die Freiheit zurück, so zu sein, wie sie sind – ohne sich als Versager fühlen zu müssen."

Element of Crime haben sich um Hipness nie viel geschert – und waren dennoch oft genug Avantgarde: Ihr zweites Album „Try To Be Mensch" wurde 1987 von dem Ex-Velvet-Underground- Musiker John Cale produziert; „Damals hinterm Mond" (1991) bescherte dem staunenden Publikum eine deutsche Band, die deutsch sang – die „Hamburger Schule" hat viel davon gelernt. Element of Crime produzierten im letzten Jahr auch die Musik zu Leander Haußmanns Inszenierung „Peter Pan" – dokumentiert auf der EP „Irgendwo im Nirgendwo".

Und Sven Regener tat das, was schon lange überfällig war: Er hat seinen ersten Roman geschrieben. „Herr Lehmann" ist die Geschichte des gleichnamigen, nicht mehr ganz so jungen Mannes – er geht auf die 30 zu! – der sich im Berlin des Jahres 1989 als Tresenkraft durchschlägt. Und wer die Lieder von Element of Crime kennt, der wird auch diesen seltsamen Helden sofort in sein Herz schließen. Weil auch hier wieder diese unglaublich genaue Beobachtungsgabe durchscheint und die Fähigkeit, Menschen zu beschreiben, die eigentlich ganz normal sind. Und genau diese Poesie des Alltags macht auch „Romantik" zu einer wirklich großen Platte.

Jürgen Ziemer


Support: Tomte

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Der lange Weg einer Band, die dieses Ding "Album / touren / proben / touren / proben / touren / Album" seit sieben Jahren macht

 
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